Filmkritik
Irrungen, Wirrungen
"Was ist wichtiger: Sich tausend Wünsche zu erfüllen oder einem einzigen zu widerstehen?" Dieser Frage spürt der indische Regisseur Pan Nalin in "Samsara" nach. Weitab von aufdringlicher Symbolik und esoterischem Hokuspokus schildert der Film den inneren Konflikt eines buddhistischen Mönchs, der zwischen der Liebe zu einer Frau und dem Weg zur spirituellen Erleuchtung zerrissen ist.
Wind pfeift durch den Himalaya. Sanfte Sonnenstrahlen tauchen die steinige Einöde in ein güldenes Licht. Eine schier magische Stimmung herrscht hier oben, 5000 Meter über Meer, wo die Luft zum Schneiden dünn wird. Doch die Idylle ist trügerisch: Ein Adler, der auf majestätischen Schwingen durch die Luft gleitet, begibt sich unversehens in den Sinkflug und greift sich am Boden einen grossen Stein. Schnellt wieder in die Höhe und navigiert sich auf die exakte Höhe einer unter ihm weidenden Geiss. Die Krallen lassen den Brocken los, das Geschoss schnellt hinunter und prallt mit tödlicher Wucht am Kopf des Opfers auf. Das Tier liegt im Sterben, die mörderische Strategie des Raubvogels ist aufgegangen.
In der technisch perfekt gefilmten Ouvertüre von „Samsara“ entfalten sich Wesensart und Thema dieses Films in voller Kraft: Schönheit und Schrecken, das Ringen mit der Natur, die Absurdität der Existenz: Samsara, das ist im buddhistischen Glauben der unaufhörliche Kreislauf von Leben, Tod und Wiedergeburt; die Welt, wie wir sie kennen. Alles eine Illusion.
In der Welt des Kinos, die Illusionen wie kein zweites Medium abzufeiern vermag, erfreuen sich Filme buddhistischer Prägung seit geraumer Zeit grosser Beliebtheit: Im Kielwasser der grassierenden Esoterikwelle der 90er segelten Hochglanzstreifen wie Bernardo Bertoluccis Siddhartha-Porträt "Little Buddha", die Brad Pitt-Kitschoper "Seven Years in Tibet" oder Martin Scorceses Dalai Lama-Biografie "Kundun". Aber auch kleinere und weniger spektakulärere Produktionen wie der Dokumentarfilm "Das Wissen vom Heilen" vdes Schweizers Franz Reichle oder Clemens Kubys "Living Buddha" stillten den westlichen Durst nach östlicher Erleuchtung.
Der vom indischen Regisseur Pan Nalin inszenierte und von der deutschen Pandora produzierte "Samsara" schildert vor der Kulisse der indischen Himalaya-Region Ladakh eine spirituelle Liebesgeschichte: Der junge Mönch Tashi (Shawn Ku) wird nach drei Jahren einsamer Meditation aus tiefster Trance in die irdische Realität zurückgeholt. Dank der Fürsorge seiner Ordenskollegen kommt der Mönch im Kloster langsam wieder zu Kräften. Doch Tashi erfährt nicht die erwartete spirituelle Läuterung, sondern ein profundes sexuelles Erwachen. Als er bei einem Erntedankfest die schöne Bauerntochter Pema (Christy Chung) kennenlernt, tauscht Tashi seine Mönchskutte gegen die Verheissungen der weltlichen Liebe. An Pemas Seite wird er zum Vater und einfachen Bauern. Doch rasch stellt sich bei Tashi wieder Unzufriedenheit ein.
Die Umkehrung der Geschichte von Prinz Siddhartha - dem historischen Buddha, der seine Familie verliess und Erlösung suchte - wird über einen Zeitraum von mehreren Jahren erzählt. Dabei beschränkt sich Palins Film nicht auf spirituelle Betrachtungen, sondern wirft auch ganz allgemeine Fragen zu Alltag, Familie und kultureller Identität auf. Es ist dem Regisseur hoch anzurechnen, dass er nie in Ethno-Romantik oder Esoterik-Kitsch abrutscht. Vielmehr versteht es Palin, mit einfachen Mitteln überraschende visuelle Effekte zu erzielen. Etwa wenn die Welt buchstäblich auf den Kopf gestellt wird, als Tashi erstmals in den Armen von Pema liegt, jenen Armen, in denen man ihn schon in einer anderen Szene wähnte: Eine Illusion, Wunschdenken des liebeshungrigen Mannes, wie der Zuschauer schliesslich realisiert. Der Schleier von Samsara ist überall.
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Kommentare
Gelöschter Nutzer
Verfasst vor 22 Jahren
ein wunderbarer Film mit eindrücklichen Bildern!
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