11'09''01 - September 11 Ägypten, Frankreich, Iran, Japan, Mexiko, Grossbritannien, USA 2002 – 133min.

Filmkritik

Fiktion, hilf!

Filmkritik: Andrea Bleuler

Der französische Fernsehproduzent Alain Brigand hat einen kollektiven Film von elf namhaften Regisseuren aus aller Welt zum 11. September 2001 organisiert. Nicht um Erinnerungen an die Ereignisse, sondern um eine Analyse geht es bei diesem Projekt - ein Gegenpol zur kurzfristigen Berichterstattung des Fernsehens. Die siebte Kunst soll fassbar machen, was die Medien nicht ausformulieren können.

Nicht ganz zufällig sind die elf Regisseure ausgewählt, die sich in einem Kurzfilm von exakten 11 Minuten, 9 Sekunden und einem Bild zu den Terrorakten in den USA äussern. Ein Israeli (Amos Gitaï) und ein Araber (Youssef Chahine) sind dabei, ebenso zwei West- und ein Osteuropäer (Claude Lelouch, Ken Loach, Danis Tanovic), sowie Vertreter aus Mittel- und Ostasien (Mira Nair, Samira Makhmalbaf, Shohei Imamura), Afrika (Idrissa Ouedraogo), Latein- (Alejandro Iñarritu) und Nordamerika (Sean Penn).

Meist wählen die Regisseure die Methode des Vergleichs, um das Geschehene zu analysieren: Danis Tanovic und Ken Loach stellen einen Bezug her zu anderen dunklen Kapiteln der Geschichte: Srebrenica am 11. Juli 1995, Chile am 11. September 1973 - wobei der Exil-Chilene und Protagonist von Loachs Film das Verhalten der USA im Zusammenhang mit dem Sturz Allendes stark kritisiert. Der Israeli Gitaï zeigt in einer Plansequenz die Medienberichterstattung eines Attentats in Tel Aviv am gleichen Tag. Samira Makhmalbaf (Iran) erzählt von Kindern eines Flüchtlingscamps - Opfern des Globalisierungsprozesses - die auch durch solche Nachrichten kaum berührt sind: Allzu gross ist ihre eigene Notlage.

Sean Penn, Claude Lelouch und Mira Nair konzentrieren sich auf private Erlebnisse: Penn hält mit Streichereinlagen und Sonnenaufgang vor Augen, wie sehr jemand sowieso schon leidet, der einen geliebten Menschen verloren hat. Lelouch, der Frauenspezialist, hat sich für eine rührselige Liebesgeschichte am Tag X entschieden. Mira Nair erzählt die Geschichte einer Mutter, deren Sohn fälschlicherweise verdächtigt wird, mit den Anschlägen zu tun zu haben, und Youssef Chahine diskutiert in einer Art Traumsequenz mit einem amerikanischen Soldaten. Shohei Imamura schliesslich wählt eine fabelartige Geschichte, die mit dem Pamphlet: "Es gibt keinen heiligen Krieg" schliesst.

Als "französische Obszönität" hatte die amerikanische Presse (u.a. die Zeitschrift Variety) dieses Projekt betitelt - obwohl die Journalisten den Film noch gar nicht gesehen hatten. Ebenfalls sauer aufgestossen ist die Tatsache, dass das Opfer Amerika wiederholt als vormaliger Täter angeprangert wird. Trotz belastend viel Konzept - Mira Nair bezeichnetet die Zeitlimitation als "einen typisch französischen Furz" - erreicht dieser Versuch das gesteckte Ziel. Eine unglaublich breites Spektrum von Fragen zu unserer Zeit wird aufgeworfen - Antworten kann ohnehin niemand geben.

Wirklich dringend und auf einer sehr emotionalen Ebene erhellend sind nur zwei Beiträge. Der Mexikaner Iñárritu montiert zu schwarzer Leinwand die Tonspur der ewig wiederholten Fernsehbilder: In wenige Sekunden kurzen Zwischenschnitten sind die Wände der Hochäuser zu sehen, davor die Menschen, die sich in die Tiefe stürzen. Idrissa Quedraga aus Burkino Faso geht weiter und wagt sich auch an eine kritische und gar humorgepolsterte Analyse unserer aller Reaktion. Ein Strassenjunge glaubt in irgendeinem bärtigen Moslem Osama Bin Laden zu erkennen und hofft mit dem auf ihn ausgesetzen Lösegeld die Heilkosten für seine kranke Mutter bezahlen zu können. Als der vermeintliche Grossverbrecher ungefasst im Flughafengebäude entschwindet, ruft ihm der verzweifelte Junge nach: "Komm zurück, Osama Bin Laden, wir brauchen dich doch!" Wie wahr.

16.09.2021

3

Dein Film-Rating

Kommentare

Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.

Login & Registrierung

Mehr Filmkritiken

Gladiator II

Red One - Alarmstufe Weihnachten

Venom: The Last Dance

Typisch Emil