Im toten Winkel - Hitlers Sekretärin Österreich 2002 – 90min.

Filmkritik

Unheimlich privat

Filmkritik: Senta van de Weetering

"Im toten Winkel" zeigt neunzig Minuten lang nichts anderes als das Gesicht von Traudl Junge. Genau so lange hört man nur ihre Stimme, die von den Jahren 1943 bis 1945 erzählt, während derer die damals junge Frau als Hitler's Sekretärin gearbeitet hat. Keine unterlegten Fotos und keine integrierte Geschichtslektion könnten anschaulicher sein, als was die achtzigjährige Frau – die kurz nach der Premiere des Films starb – André Heller und seinem Co-Regisseur Othmar Schmiderer erzählt.

Zu Beginn und am Schluss spricht Traudl Junge von Schuldgefühlen. Von der Schwierigkeit, sich zu verzeihen. Von der Gedenktafel für Sophie Scholl, die im selben Jahr wegen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus hingerichtet wurde, in dem die gleich alte Traudl Junge ihre Stelle bei Hitler antrat. Vor dieser Tafel seien ihre Ausreden "Ich war halt jung" und "Wir haben nichts gewusst", zusammengebrochen.

Mit diesem Einstieg führt sie sich als glaubwürdige Zeugin ein, und es hört sich nicht mehr nach Ausrede an, wenn sie im Folgenden erzählt, wie sie fast zufällig an die Stelle geriet, an der sie und ihre Kolleginnen für den Führer nicht nur auf Abruf zum Diktat bereit standen, sondern auch die Aufgabe hatten, ihren Chef während der Mahlzeiten oder beim Tee zu unterhalten und abzulenken.

Alltag mit dem Führer

Nüchtern, aber manchmal selber darüber staunend, was sie erzählt, beschreibt sie ihren ehemaligen Alltag, spricht von Hitler als "gemütlichem älteren Herrn", der ganze Mahlzeiten lang von der Intelligenz seines Schäferhundes schwärmen konnte. Bisweilen wird ihr das private Bild, das sie von dem Mann zeichnet, selbst unheimlich: Das alles sei so unwichtig, verglichen mit dem schrecklichen Gesamtbild, kommentiert sie sich einmal. Sie habe sich, sagt sie, in Hitlers Hauptquartier im Zentrum der Information gewähnt, und erst später erkannt, dass der Ort in Wirklichkeit ein toter Winkel gewesen sei.

Gespenstisch ihre Beschreibung der letzten Tage im Bunker, in dem Hitler und Eva Braun sowie die Familie Goebbels und einige weitere Personen sich eingeschlossen hatten. Hitler redete nur noch von Selbstmord. Es gab keine Vorstellung davon, wie das Leben in einem besiegten Deutschland aussehen könnte, die Weltuntergangsvisionen des Führers und eine zunehmende Paranoia hielten alle in Bann, das Gefühl für Tag und Nacht kam den Eingeschlossenen abhanden. Hitler verteilte Zyankali-Kapseln mit den Worten: "Ich hätte Ihnen gerne etwas Schöneres gegeben." Mitten in dieser Totentanz-Stimmung heirateten er und Eva Braun; gleich anschliessend diktierte er Traudl Junge sein Testament, das er in dreifacher Ausführung verschickte. Von diesem Moment an wartete er nur noch auf die Empfangsbestätigung, um sich daraufhin umzubringen. Ohne einen einzigen Filmschnitt erzählt Traudl Junge 25 Minuten am Stück von diesen letzten Tagen im Bunker und anschliessend von ihrem Hass auf den Mann, der sie alle im Stich gelassen hat.

07.06.2021

4

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