Filmkritik
Eile mit Weile: Ein Hindernisparcour für Menschen.
Dieser Film hat Geschichte geschrieben, ohne selbst eine zu erzählen. Leider hat er seinen Schöpfer Jacques Tati ruiniert, da er seiner Zeit 1968 weit voraus war. Mit seiner episodenhaften Erzählstruktur ohne durchgehende Handlung aber voller skurriler Einfälle und seinen unerschöpflichen visuellen Überraschungen fand er keine Gnade beim breiten Publikum. Jetzt bekommen er und wir eine neue Chance. Nutzen wir sie!
Der 1982 verstorbene französische Regisseur Jacques Tati war ein ideenreicher Tüftler und Perfektionist. Seine Spezialität waren visuelle Überraschungen und originelle Blickwinkel. Bekannt wurde er durch seine Erfolgsfilme "Die Ferien des Herrn Hulot" (1953) und "Mein Onkel" (1958). Für "Playtime" ließ er am Rand von Paris den Platz einer Metropole mit einigen angrenzenden Gebäuden in Originalgröße enstehen. Die restlichen Gebäude ließ er durch bewegliche Kulissen gigantischen Ausmaßes bei raffiniert gewählten Blickrichtungen simulieren. So entstand die vollkommene Illusion einer modernen, sogar gemäßigt futuristischen Großstadt. Diesen Aufwand trieb er nicht ohne Grund, denn diese Großstadt mit ihren neuartigen Büro- und Wohnhäusern spielt die Hauptrolle. Dass wir ein paar Menschen, unter ihnen Herrn Hulot, begleiten dürfen und dabei zusehen, wie sie als Neulinge ihre Überraschungen erleben (und wir mit ihnen), darf uns nicht täuschen, sie persönlich für wesentlich zu halten: Sie verkörpern nur Typen, die wie Spielfiguren einen Zweck erfüllen müssen. Dieser Zweck könnte sein zu zeigen, wie der Einzelne in der rapide modernisierten Lebenswelt überfordert ist oder wie das Umsetzen einer minutiösen Planung komplexer Aufgaben an Pannen und widrigen Details unweigerlich scheitert, weil sich die Folgen einer kleinen Störung aufschaukeln. So führt beispielsweise das starre Befolgen der Regeln durch das Bedienungspersonal während des Eröffnungsabends eines neuen Restaurants zu einer grotesken Ineffizienz mit teilweise drastischen Folgen für die Gäste. Gern treibt der Regisseur sein Spiel mit witzigen und skurrilen Einfällen auf die Spitze und landet dabei oft im Absurden. Nie plakativ, sondern subtil und mit Esprit kommen viele verblüffende Ideen erst auf den zweiten Blick richtig zur Geltung. Diese Fülle fordert einen wachen Verstand und ein genaues Hinsehen. Wie wichtig das visuelle Geschehen ist, wird schon allein an der Tatsache klar, dass sehr wenig gesprochen wird - in vielen Szenen kein einziges Wort. Auch bei der Farbe ist Tati an die Grenzen gegangen: Obwohl in Farbe gedreht, wirken die Bilder beinah monochrom und erreichen eine beispielhafte stilistische Stringenz. "Playtime" ist ein Ausnahmefilm, der Begeisterung oder Ablehnung hervorruft. Wer ein Faible für visuell brillantes Kino hat, kommt voll auf seine Rechnung und muss ihn auch dort auf der großen Leinwand ansehen: Auf dem Fernsehschirm verfehlt er seine Wirkung vollkommen.
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