Filmkritik
Wertvolles Alteisen
In Adolfo Aristarains Denk- und Sprechfilm "Lugares comunes" schneidet die Frühpensionierung drastisch ins Leben eines argentinischen Professors ein. Ausgemustert und mit einer bescheidenen Pension billig abgespeist, hat sich der ergraute Moralist eine neue Rolle in einer Gesellschaft zu suchen, die er mit arg finstrem Blick beobachtet. Ein wortreiches Drama, das der Existenzangst vornehmlich schöngeistig begegnet.
"Ihr werdet euch noch wundern, wenn ich erst Rentner bin. Sobald der Stress vorbei ist, dann lang ich nämlich hin." - Ob Fernando (Federico Luppi), die Hauptfigur von "Lugares comunes", diesen Liedtext von Udo Jürgens auf seinen Lippen tragen würde, ist zu bezweifeln. Im Gegenteil. Als ihn der blaue Brief der Universität von Buenos Aires erreicht, wird Fernando keineswegs von Aufbruchstimmung ergriffen, und sein anfänglicher Protest weicht schnell der Resignation. Es hilft nichts, eine neue Zukunft für sich und seine liebende Ehefrau Liliana (Mercedes Sampietro) will erfunden werden - und zwar schnell.
Doch was tun in einem Argentinien, dessen Wirtschaftslage längst nicht nur klassisch Randständigen Existenzangst aufbürdet? Eine Reise nach Madrid zur Familie des Sohnes deutet eine mögliche Lösung an. Doch eine wirtschaftliche Landflucht, den Verrat an seinen Grundsätzen einer Gesellschaft in Brüderlichkeit verbittet sich der ergraute Idealist. Freund Carlos (Arturo Puig) wirft eine neue Idee auf: Verkauf der teuren Stadtwohnung und Neuanfang auf dem Lande. Doch mausert sich Fernando mit dem Kauf eines Landgutes mit dazugehöriger Arbeitskraft nicht zum Grossgrundbesitzer und Ausbeuter?
Dass Adolfo Aristarain mit seinem wortreichen und mitunter polemischen ("Argentinien ist tot!") Stück der schiefliegenden Wirtschaftspolitik seiner argentinischen Heimat entgegentreten will, ist offensichtlich. Einzig fragt sich, für wen. Der kleine Mann von der Strasse, dessen berufliche Zukunft im Dunkeln liegt und dessen Ersparnisse sich vor seinen Augen auflösen, erhält in "Lugares comunes" keine Stimme. So feinsinnig und eloquent die Betrachtungen des charismatischen Altlehrers Fernando auch sein mögen, ihnen haftet der Makel an, dass ein Diskurs über die Grundsätze der französischen Revolution angesichts einer drängenden Krisensituation reichlich schöngeistig wirkt.
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