Madame Satã Brasilien, Frankreich 2002 – 103min.

Filmkritik

Janusköpfiger Überlebenskünstler

Filmkritik: Irene Genhart

Der erste lange Spielfilm des Brasilianers Karim Ainouz ist das schillernde Porträt des legendären brasilianischen Travestie-Künstler Joao Francisco dos Santos, genannt Madame Satã.

Etwas animalisches, wildes geht vom Mann aus, der zum Auftakt von "Madame Satã" auf der Polizeistation von Rio de Janeiro sitzt, derweil im Off der am 12. Mai 1932 verfasste Polizeibericht zu seiner Person verlesen wird. "Der Angeklagte, Joao Emtabaja da Silva, ist den Behörden als gewalttätiger Mensch bekannt", heisst es darin. "Er wohnt überwiegend in Lapa, ist ein Päderast mit rasierten Augenbrauen und femininen Einstellungen, die sogar so weit gehen, dass er seine Stimme verändert..." Lange ist die Liste der Vorwürfe gegen Joao: Glücksspielerei, mangelnde Bildung, Homosexualität, Kriminalität. "Und", so schliesst das Protokoll, "er ist von niederer Natur, in seiner Anlage kriminell und stellt deshalb eine Gefährdung für die Gesellschaft dar."

Ausgehend von dieser Verhaftung, deren Anlass der Mord Joaos an einem Tunten-Hasser war, blendet der erste Kinospielfilm des Brasilianers Karim Ainouz auf und zurück. Er taucht ein ins sprudelnde Leben von Rio de Janeiro der späten 1920er Jahre. Joao Francisco dos Santos, so der richtige Name von Ainouz' Protagonisten, lebt zusammen mit der Gelegenheitsnutte Laurita, deren Tochter Firmina und dem schwulen Diener Tabu im Künstlerviertel Lapa. Joao arbeitet als persönlicher Garderobier der Sängerin Vitoria dos Anjos im Kabarett "Lux" und wünscht sich nichts sehnlicher, als dereinst selber auf der Bühne zu stehen.

Eines Tages schlüpft Joao in Vitorias Kostüm. Er wird dabei erwischt und verliert - nicht ohne sich mit dem Besitzer des Kabaretts noch zünftig zu streiten - seinen Job. Fortan bringt Joao sich und seine "Familie" als Zuhälter, Dieb und mit krummen Deals über die Runden. Nur so genau erfährt man das in "Madame Satã" eigentlich nicht. Denn Karim Ainouz interessiert weniger der exakte Verlauf des Lebens seines am 25. Februar 1900 in der Provinzstadt Gloria do Coitos geborenen, und 1976 in Rio verstorbenen Protagonisten, als viel mehr das, was diesen schon zu Lebezeiten zur Legende werden liess: Sein enormer Lebenswille und Freiheitsdrang. Seine Stehaufmännchenmentalität, die ihn insgesamt 27 Jahre Gefängnis scheinbar schadlos überstehen liess. Vor allem aber Joao Franciscos legendären Auftritte als Madame Satã: Tänzerin, Diseuse, Sängerin. Gefilmt hautnah dran an dem von Lazaro Ramos fiebrig gespielten Protagonisten ist "Madam Satã" weniger Biopic, denn eine in ihrer grobkörnigen, exotisch-erotischen Bildlichkeit faszinierende Charakterstudie einer innerlich tief gespaltenen Persönlichkeit.

18.05.2021

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