CH.FILM

Thelma Frankreich, Griechenland, Schweiz 2002 – 95min.

Filmkritik

Verwirrung der Geschlechter

Filmkritik: Andrea Bleuler

In seinem ersten Spielfilm verfolgt der Dokumentarfilmer Pierre-Alain Meier das Liebesleben einer Transsexuellen. Die eigentümliche Mischung aus Beziehungsschnulze, Roadmovie und Komödie wird vom Charisma der Hauptdarstellerin Pascale Ourbih zusammengehalten.

Ex-Boxer und Taxifahrer Vincent (Laurent Schilling) trifft eines Nachts auf sonderbare Kundschaft. Die attraktive Thelma (Pascale Ourbih) will ihn gegen eine grosszügige Entlöhnung für eine Fahrt von Lausanne nach Kreta engagieren. Ziel der Mission ist ein kleiner Racheakt an ihrem reichen Liebhaber, denn die unbekannte Schöne ist eben von ihm stehen gelassen worden. Vincent befindet sich seinerseits gerade in einer schwierigen Lebensphase: Sein Heim ist ein Hotelzimmer, denn mit seiner Frau ist er verkracht. Einsamkeit verbindet. Ausserdem fühlt er sich von der Frau mit der dunklen Stimme angezogen, und so nimmt er den Auftrag an.

Dass sich hinter Thelmas überquellender Weiblichkeit (überzeugend dargestellt von der transsexuellen Laienschauspielerin Pascale Ourbih) eine männliche Vergangenheit verbirgt, irritiert Vincents Rollenverständnis zutiefst: Seine Verunsicherung äussert sich zunächst einmal in Hass und Aggression. Weshalb er seine Reise mit Thelma dennoch fortsetzt, wird im Film emotional nicht ganz verständlich gemacht. Jedenfalls tut er es - und lernt auf Kreta neben Thelmas Liebhaber auch seine/ihre Ex-Freundin Fenia (Nathalia Capo d’Istria) und deren gemeinsame Tochter Eleni kennen.

Pierre-Alain Meiers Filmtitel ist irreführend: In „Thelma" wird nicht Herz und Seele einer Transsexuellen porträtiert, sondern allenfalls eine Auswahl ihrer Beziehungen nachgezeichnet. Die Person an sich bleibt ein Mysterium. Stattdessen ist die Geschichte vollumfänglich auf den Fragenkatalog verwirrter Nicht-Transsexueller angepasst, im Stil von „Wie ist es denn so, mit einem Transsexuellen zu sein?" - wobei auf die Frage „Wie sieht ein Mensch zwischen Mann und Frau aus?" auch gleich eine optisch konkrete Antwort geliefert wird.

Die Zusammenarbeit von vier Drehbuchautoren hat dem Film nicht zu Geschlossenheit verholfen - unklar bleibt auch, welche Geschichte um Thelma nun eigentlich hätte erzählt werden sollen. Doch irgendwann gelingt der Dreh zur humorvollen Distanz und Meiers Film versprüht unverhofft eine Leichtigkeit und Unbeschwertheit, die helvetischen Produkten traditionell nicht unbedingt eigen ist. Und allein für diese Erfahrung lohnt sich die Konfrontation mit dem Chaos.





21.01.2021

3

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