Poem Deutschland, USA 2003 – 95min.

Filmkritik

Ode an die deutsche Poesie

Filmkritik: Irene Genhart

Ralf Schmerbergs "Poem" ist eine poetische Reihung von 19 deutschen Kurzfilm-Gedichten.

Neunzehn Gedichte. Neunzehn kurze Filme. Thematisch durcheinandergewürfelt, in Gestaltung und Konzept grundverschieden. Aneinander gereiht und unter einen Titel gestellt werden sie gleichwohl zu einer Einheit. Als "magische Reise durch die Welt der Poesie und Imagination" bezeichnet Regisseur Ralf Schmerberg sein Werk.

De facto handelt es sich dabei um eine Anthologie von Filmgedichten, deren verbindendes Moment die Sprache ist: Interpretiert werden durchs Band deutsche Gedichte. Bekannte, wie Schillers "Ode an die Freude" und Goethes "Gesang der Geister". Aber auch unbekannte, wie Isabel Tuengerthals "Der Falter" und Selma Meerbaum-Eisingers "Der Sturm".

Vorgetragen, gesprochen, gelesen, rezitiert werden sie - mal aus dem Off, mal im Bild - von deutschen Schauspielerinnen und Schauspielern: Jürgen Vogel, Anna Böttcher, Klaus Maria Brandauer, Hannelore Elsner. Und Paul Celan spricht sein Gedicht "Tenebrae" gleich selber.

Aufgezogen ist "Poem" als assoziative Reihung kurzer Filme. Als Bindeglied funktioniert die lose dazwischen geflochtene Geschichte eines jungen Mannes, der seinen alten und lahmen Vater auf einem Holzgestell durch die Hügel und Täler Nepals trägt. Die Story von Vater und Sohn endet nach dem Besuch in einem Kloster mit der Heilung und bildet nicht nur den Rahmen des ganzen Films, sondern ist auch Teil des Clips, der zu Rainer Maria Rilkes "Siehe, ich wusste es sind..." gehört.

Von Liebe und Schmerz, Sehnsucht und Trauer, dem Kommen, dem Dasein und dem Vergehen erzählt "Poem". Die Stimmen schmachten, locken, flehen, sind mal traurig, mal fröhlich, bald zögerlich, mal freudig erregt - es gibt selten Filme, die einen derartigen Hörgenuss darstellen wie “Poem”. Nun aber ist Schmerbergs Film faszinierend viel mehr als eine Hörspiel. Schmerberg, der nach eigenen Angaben vor "Poem" kaum je Gedichte las und seine bisherigen Meriten als Photograph und Regisseur von Videoclips und Commercials - unter anderem für die Toten Hosen und die Fantastischen Vier, Afri Cola, Nike und Mastercard - verdiente, hat jedes Gedicht assoziativ "bebildert" beziehungsweise verfilmt.

Da tanzt Carmen Birk, dem Reigen von Lichter und Schatten folgend, zu den Worten von Antonia Kenz' "Alles" durch eine Berliner Tiefgarage. Die Aufnahmen vom Burning Man Festival in Nevada bilden den geisterhaften Hintergrund für Hermann Hesses "Ich weiss von solchen...". Und eine Gruppe geistig Behinderter tummelt sich freudig in saftig grünen Wiesen, derweil Isabella Tuengerthal "Mörder" von Claire Goll rezitiert.

Raffiniert ist "Poem". Fesselt nicht mittels spannender Story, sondern durch die Spannung zwischen Bild und Text und den Reichtum der Einfälle. Im Zeitalter von Kurznachrichten, SMS und MTV gedreht, ist "Poem" ein Stück faszinierend zeitgeistiger Kinokunst.

18.05.2021

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