The Fog of War USA 2003 – 107min.

Filmkritik

Die Grenzen der Vernunft

Benedikt Eppenberger
Filmkritik: Benedikt Eppenberger

Im grossartigen Dokumentarfilm "The Fog of War" raisonniert der ehemalige US-Verteidigungsminister Robert McNamara über Maximen der Politik und seine Verwicklungen in lichte, aber vor allem auch dunkle Kapitel der US-Aussenpolitik.

Wann immer der Name Robert McNamara im Zusammenhang mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts auftaucht, steht in erster Linie das Vietnam-Fiasko der 60er und 70er Jahre im Vordergrund. Dieser Krieg mit Hunderttausenden von Toten wurde vom damaligen US-Verteidigungsminister (er war Departementchef sowohl unter John F. Kennedy als auch unter Lyndon B. Johnson) zwar nicht direkt befördert, von ihm aber auch wenig ernsthaft bekämpft.

Schon zur Zeit der Kubakrise 1963 und früher, während der Bombardements von Tokio im Zweiten Weltkrieg, spielte der heute 88-jährige McNamara eine wichtige Rolle. Seine lange Erfahrung als "Mächtiger", von dessen Entscheidung zeitweise das Leben von Millionen Menschen abhing, macht ihn zu einem einzigartigen Zeitzeugen. Die Lektionen, die McNamara im Herbst seines Lebens als Konsequenz aus einer langen Karriere als Entscheidungsträger zieht, haben Gewicht.

Im Mittelpunkt von Errol Morris' Dokumentarfilm "The Fog of War" steht McNamaras zentrale Einsicht, dass das Vertrauen in die Vernunft in die Irre führen kann. Immer wieder stand der strenge Rationalist vor der Frage, wie es moralisch zu verantworten sei, für den Sieg einer subjektiv gerechten Sache Hunderttausende von Menschenleben zu opfern. Immer wieder sehen und hören wir McNamara beim Abwägen der Fürs und Widers. War der Abwurf der beiden Atombomben auf Japan gerechtfertigt? Welche Entscheidungen führten dazu, dass die Kubakrise 1963 nicht im globalen Atomkrieg endete? War es richtig, aufgrund einer äusserst vagen Meldung eines Torpedoangriffs die Bombardierung Nordvietnams anzuordnen und damit den Vietnamkrieg eskalieren zu lassen? Hier sind die Grenzen der Vernunft schnell erreicht, und durch McNamaras Eingeständnis, oft auch geirrt zu haben, bekommt "The Fog of War" den Charakter einer Lebensbeichte.

Indem er seinen Film in die "elf Lektionen aus dem Leben des Robert McNamaras" aufteilt, lässt Morris durchaus pädagogische Absichten erkennen. Gleichwohl vermeidet die Dokumentation eindeutige Stellungsnahmen. Vielmehr lässt der Regisseur seinen Hauptdarsteller frei sprechen und leuchtet mittels raffiniert montiertem historischem Material auf McNamaras Biografie wie auch auf die Zeiten zurück, als der Verteidigungsminister jene Entscheidungen fällen musste, die er heute entweder in Frage stellt (Vietnamkrieg) oder aber nach wie vor rechtfertigt (Kubakrise). Später ist man immer schlauer.

Doch McNamaras Einsichten reichen weiter. Die Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen und dabei seine Handlungsmaximen immer wieder anzupassen, zeigt einen Mann, der auch Zweifel zulassen kann. Das bringt ihn - ohne dass dieser Zusammenhang im Film angesprochen würde - in Gegensatz zur Politik der aktuellen amerikanischen Administration, die Eingeständnisse von Fehlern immer nur als Schwäche auslegen kann und deshalb auf einer Politik beharrt, deren Ähnlichkeit mit jener, die zum Vietnamkrieg führte, frappant ist.

Gegen Ende der Dokumentation kommt McNamara auf den Titel des Filmes zu sprechen. Die Variablen im Entscheidungsprozess seien im Kriegszustand kaum je vollkommen zu verstehen, und nur selten sei es Vernunft, die im "Kriegsnebel" die Richtungen vorgebe. Kriege machen blöd. Es ist aus diesen nebligen Tiefen, aus welchen heraus Morris seine Fragen stellt, aber kaum je eine eindeutige Antwort bekommt. Die Vernunft hat ihre Grenzen, und eine vernünftige Politik bleibt ein frommer Wunsch. Ein niederschmetterndes Fazit. McNamara sieht die Zukunft - trotz seiner elf Lektionen - wenig optimistisch. "The Fog of War" ist ein beängstigend aktueller Film über einen Mann, dessen Thesen zu Krieg und Politik bedrückend zeitlos sind.

25.05.2021

5

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Kommentare

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saskiabollin

vor 20 Jahren

Es zeigt die unendliche Torheit der Regierenden


Gelöschter Nutzer

vor 20 Jahren

viel besser als "Fahrenheit 9/11"


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