Xiaos Weg China, Korea, Republik (Süd) 2002 – 117min.

Filmkritik

Seele im Schraubstock

Filmkritik: Andrea Bleuler

Chen Kaiges Blitzstart in der Filmwelt mit seinem Grosserfolg "Farewell My Concubine" hat ihn nach Hollywood und zurück nach China geführt. Wieder im eigenen Land, ist seine jüngste Abhandlung zum Thema Leidenschaft - ein Geigertalent sucht nach dem richtigen Lehrer - spürbar westlich beeinflusst.

Wie auch in Lukas Moodysons gleichnamigem Film sind es besonders ungleiche Menschentypen, die in "Together" aufeinandertreffen. Der nachdenkliche dreizehnjährige Xiaochun (Tang Yun) kommt in Begleitung seines Vaters aus der Provinz in die Grossstadt Beijing, um dort an einem Geigerwettbewerb teilzunehmen und einen Lehrer zu finden.

Aber Erfolg ist käuflich und nur bedingt von Talent abhängig, weshalb der Junge vorerst mit einem unmotivierten Maestro (Wang Zhiwen) Vorlieb nehmen muss, der in seinem Bohème-Leben verwahrlost. Gleich neben Vater und Sohn wohnt - ganz zu des Junggeigers Freude - ein schöne junge Frau (Chen Hong, die Ehefrau des Regisseurs und gleichzeitig Co-Produzentin des Films), die sich von ihren Liebhabern aushalten lässt und ihr Geld in Kleider investiert, aber trotz aller Oberflächlichkeit ein gutes Herz hat.

Chen Kaiges Landmaus-Stadtmaus-Fabel ist allerdings nur nebensächlich politisch engagiert. Moralische Zerissenheit in einer Zeit, wo der Materialismus langsam überhand nimmt, ist in erster Linie ein emotionales Dekor, um, wie bereits in seinen früheren Filmen, eine Geschichte über wahre Passion zu erzählen.

In einem der Realität poetisch entrückten Beijing der Gegenwart, wo nostalgische Hinterhofidyllen auf Neon treffen, ist Xiaochuns Einstieg in die rüde Welt der Erwachsenen angesiedelt: Rebellion und Rettung findet er in seinem Geigenspiel. Doch Chen Kaige kommt auch darauf zu sprechen, wie Aussenstehende missbräuchlich von aufrichtiger Leidenschaft zu profitieren. So verkörpert er gleich selbst Xiaochuns zweiten Lehrer, der seinen Zögling durch eine sorgfältig inszenierte Lügengeschichte emotional verpflichten will.

Dabei ist es verlockend, Xiaochuns Dilemma zwischen Herz (beim guten Vater bleiben) und Geld (dem bösen Mann folgen) mit Chen Kaiges eigenem Werdegang zu vergleichen. Nachdem er mit "Farewell My Concubine" zu Beginn der neunziger Jahre zu internationalem Renommé kam, wurde sein Hollywood-produziertes letztes Werk - der Erotik-Thriller "Killing Me Softly" mit Joseph Fiennes und Heather Graham - nur auf DVD/Video veröffentlicht.

Chen Kaige jüngster Film ist durch allerlei Westliches verwässert. So wirkt die Mimik und Gestik der ansonsten minimal definierten Charaktere für asiatische Verhältnisse exzessiv. Die Vater-Sohn-Beziehung zeigt so unerwartet viel Sentimentalität.

Aber "Together" ist glücklicherweise in Szenen aufgeschlüsselt, die an sich erfrischend und gewinnend sind - ein Grossteil der Lorbeeren geht dabei an die Vaterfigur, einen liebenswerten Kerl, der in unpassenden alten Kleidern durch die heranrollende Moderne stolpert.

Der entschlossene Griff nach des Zuschauers Seele ist jedenfalls erfolgreich. Und deshalb kann dem Filmemacher auch verziehen werden, Musik ausschliesslich zur Gefühlsintensivierung genutzt und sich periodisch an einer Lichtgestaltung inklusive Weichzeichner im Stil eines fernsehtauglichen Erotikfilms aus den Siebzigern vergriffen zu haben.

01.06.2021

3

Dein Film-Rating

Kommentare

Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.

Login & Registrierung

Gelöschter Nutzer

vor 15 Jahren

Die Story überrascht eigentlich nicht: es geht um dem Aufstieg eines musikalischen Wunderkindes (Geige) im neo-kapitalistischen China und wie immer aus ärmlichen Verhältnissen. Doch wie Chen Kaige das mit einigen Längen erzählt, ist recht nett anzuschauen, schrammt aber haarscharf an einer Herz-Schmerz Polka vorbei. Einige lustige Alltagsszenen lockern etwas auf, andere wirken hingegen etwas aufgesetzt. Wenn zum Beispiel eine exzentrische Nachbarin zur Ersatzmutter mutiert oder Xiaos gleichaltrige Konkurrentin wider Erwarten ihre Großherzigkeit entdeckt. Selbst der Überraschungsschlenker am Ende kommt zu langatmig daher. Das Thema kommerzieller Erfolg oder gute Musik wird allerdings ebenso gestreift wie das Phänomen von Vitamin – B oder das echte Gefühl in der Musik. Und das alles wird uns an gut ausgesuchten Klassikern der Geigenvirtuosität demonstriert. Also ist dann wohl Xiaos Weg der richtige: mit Verstand und Herz zum Erfolg!?Mehr anzeigen


Mehr Filmkritiken

Venom: The Last Dance

Typisch Emil

Lee - Die Fotografin

Tschugger - Der lätscht Fall