Der König von San Gregorio Chile 2005 – 80min.

Filmkritik

Behinderte Liebeslust

Filmkritik: Eduard Ulrich

Es ist ein Wagnis, einen geistig Behinderten zur Hauptfigur zu machen. Gleich zwei derartig Benachteiligte ins Zentrum zu rücken, könnte den Gedanken aufkommen lassen, der Regisseur selbst sei nicht ganz klar im Kopf und riskiere eine Pleite. Erfreulicherweise ist das Resultat geglückt und Alfonso Gazitúa Gaete ein Triebtäter, der sich schon oft mit sozial schwierigen Fragen befasst hat.

Schön ist er nicht, der kleine, bucklige, fast halslose, etwa 30-jährige Pedro, dessen schlimmstes Manko nicht sofort zu sehen, vielleicht an seinem Gesichtsausdruck abzulesen ist: Sein Gehirn funktioniert nicht so wie das der meisten. Unverstellt offen beherrscht sein liebeslüsterner Blick auf seine Geliebte das Bild, das die Handkamera festhalten durfte, denn Pedro ist kein Schauspieler: Er "spielt" sich selbst. Cati benötigt mehr Hilfe als Pedro, kann sich kaum artikulieren, ihre Äusserungen sind dennoch eindeutig: Sie will Pedro. Pedros Mutter und Catis Schwester wollen aber nicht. Beide leben nur für ihre Schützlinge und sind vollkommen mit deren bedingungslosem, zeilgerichteten Drang zueinander überfordert. So erscheinen plötzlich die eigentlich Gesunden als die Behinderten - die Behinderer sind sie ohnehin.

Es geschieht nicht viel in diesem persönlichen Film des Chilenen Alfonso Gazitúa Gaete, dessen Dokumentarfilmvergangenheit sich am genauen Blick auf die Details und der improvisatorischen Situationsdramaturgie und -komik ablesen lässt. Dennoch ist es nie langweilig: Pedro und Cati lassen nichts unversucht, um die Löcher in ihren Betreuungszäunen zu finden oder welche hineinzuschneiden, und sie werden dabei von ihren mentalen und körperlichen Leidensgenossen nach Kräften unterstützt. Ein witziger Spruch und ein ebensolches Rollstuhlwettrennen der anderen Art sind die Glanzlichter der Nebenschauplätze. Wären da nicht die tagtraumartigen Einschübe und die wesentliche Rolle der Musik, man könnte von einer chilenischen Dogma-Variante sprechen, bei der noch eine Ebene mehr an Authentizität ins Spiel kommt, indem auch die DarstellerInnen sich selbst spielen.

Neben der professionellen Darstellerin der Cati, die das abnormale Verhalten absolut überzeugend verkörpert, verdient auch der Regisseur höchstes Lob für die einfühlsame und berührende Inszenierung, die tatsächlich die Würde aller Beteiligten wahrt. Er gewährt uns quasi einen Einblick in eine frühere Entwicklungsstufe der Spezies Mensch, als der intellektuelle Überbau noch nicht versuchte, die Kontrolle zu übernehmen, was ihm ja bis heute oft nicht gelingt. So sehen wir vielleicht auch, wie wir uns verhalten würden, wenn die zivilisatorischen Konventionen wegfielen, und welche unterverstellten Gefühle in uns schlummern: Liebe, Triebe, Lust und Frust.

11.06.2008

4

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