Gabrielle Frankreich, Deutschland, Italien 2005 – 90min.
Filmkritik
Brodeln unter der Oberfläche
Warum kehrt eine Frau, die soeben ihren Mann verlassen hat, nach nur wenigen Stunden zu ihm zurück obwohl sie ihn nicht mehr liebt? Patrice Chéreaus sprech- und sprachgewaltiges Duell zwischen Mann und Frau ist eine gelungene Symbiose zwischen Theater und Film.
Bürgerliches Leben im Paris der Belle Epoque: Seit zehn Jahren führen Gabrielle (Isabelle Huppert) und Jean Hervey (Pascal Greggory) eine gut funktionierende Ehe, ohne tiefschürfende Gefühle, ohne Skandale und ohne Dramen. Sie geniessen hohes Ansehen in der bourgeoisen Gesellschaft und ihre wöchentlichen Empfänge sind beliebte Treffpunkte der Bohème. Doch da wuchert etwas unter der glatten Oberfläche, darüber besteht ab der ersten Einstellung des Filmes kein Zweifel. Es ist der Abschiedsbrief von Gabrielle, der dieses reibungslose Gefüge aus den Fugen hebt. Die Nachricht ist ein Schock für Jean und während er noch um seine Fassung ringt, steht sie plötzlich wieder vor ihm. Ihre Rückkehr ist das "En garde" eines Duells zwischen Mann und Frau.
Ein Duell das mit geballter Wort- und Schauspielgewalt über die Leinwand geht. "Wenn ich gewusst hätte, dass Sie mich lieben, wäre ich nicht zurückgekommen.", sagt Gabrielle an einer Stelle und spricht mit einem Satz Bände. Gabrielles Rückkehr ist gleichzeitig eine Unterwerfung und ein Triumph. Auf der einen Seite bedeutet sie den Verzicht auf das neue Leben, in welchem sie zum ersten Mal der Leidenschaft begegnet ist. Andererseits bereitet es ihr Genugtuung ihren Mann an dieser neu gewonnenen Freiheit teilhaben zu lassen. Das ist grausam, das ist aber auch mutig. "Warum sind Sie nur zurückgekommen?", fragt Jean einmal. Denn wäre sie nicht zurückgekehrt, wären die Rollen klar verteilt gewesen: Er, der gehörnte Ehemann, sie, die treulose Abtrünnige. Doch ihre Rückkehr verweigert Eindimensionalität. Durch die gegenseitige emotionale Zerfleischung wird zu Ende gebracht, was ohnehin kaum mehr lebte. Und durch die gnadenlose Auslöschung der letzten Reste von Liebe und Zuneigung kann für beide etwas Neues entstehen.
Der Theater- und Filmregisseur Patrice Chéreau ("Intimacy") weiss die Stärken des Theaters ins Medium des Films zu übersetzen. "Gabrielle" wird so zu einem Destillat aus Theater, Film und - als ob das nicht schon reichen würde - der Oper. Zu Sprache und Bildern tritt eine pompöse Musik hinzu und erzeugt eine Mischung, welche das Ende dieser Beziehung glaubhaft macht und im besten Sinne dramatisiert. Umgesetzt von Isabelle Huppert und Pascal Greggory, zwei der bedeutendsten französischen Schauspieler, kann man einfach nicht anders als ungehemmt den Superlativen zu verfallen. Wer will, kann dem Film allerdings anlasten, dass man ab soviel Sprachkonzentration und Bildpräzision bisweilen fast erdrückt wird und hechelnd um Luft ringt. Vor allem jene, die der französischen Sprache nicht mehr ganz so mächtig sind.
Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.
Login & Registrierung