Filmkritik
Poetische Traumwelt
Nicht das Erzählen einer Geschichte, sondern Montage und bewegte Bilder sind charakteristisch für das Medium Film. Darauf besinnt sich der japanische Regisseur Kohei Oguri in "Umoregi", einem Film, der sich ganz auf die Aussagekraft von Bildern verlässt.
Ein Lieferwagen mit dem Bild eines Wals spiegelt sich in den Strassenpfützen, eine leuchtend rote Laterne in Form eines Pferdes schwebt im Nachthimmel, und ein Mädchen überquert einen nebelverhangenen Fluss - poetische Bilder, die im Gedächtnis haften bleiben und bei jedem Zuschauer andere Assoziationen wecken.
In der Rahmenhandlung beschliessen drei Teenager-Mädchen, gemeinsam eine Geschichte zu erfinden. Während man in ihrer Geschichte die Strassen aufreisst, damit ein Kamel bequem auf Erdwegen spazieren kann, spielt sich in der tatsächlichen Stadt der Alltag von Fisch- und Tofuhändlern, Kindern und alten Menschen ab. Bald verschmelzen die beiden Erzählebenen, eine stringente Handlung ist nicht mehr erkennbar. Ein kleines Mädchen schickt beim Fluss Schiffchen auf die Reise, Kinder reinigen die Schutzgötter am Wegrand, und eine alte Frau sitzt klagend auf der Strasse, weil die Familie sie ins Altersheim bringen möchte.
Immer wieder blitzen kleine Geschichten auf oder Momentaufnahmen, die den Ansatz für eine Geschichte liefern. Einmal wird etwa von einem gestrandeten Wals berichtet, später taucht der Lieferwagen mit Walbild auf, und am Ende entschwebt eine Laterne in Walform in die Freiheit. Wie man diese Bilder zueinander in Beziehung setzen, wie man sie zu einem Ganzen zusammenfügen will, bleibt jedem selber überlassen.
Besonders faszinierend ist das titelgebende Motiv: Eines Tages entdecken die Stadtbewohner einen durch einen Vulkanausbruch zugeschütteten Wald unter dem Krocketfeld. Er wird freigelegt, und tief unten in der geheimnisvollen Düsternis feiert man zwischen schwarzen Baustämmen ein Fest. Ein andermal blicken Jugendliche aus dem dunklen Wald auf hell erleuchtete Figuren, die durch den Wald fliegen. Diese und andere Szenerien lassen an einen Traumzustand denken oder an eine phantastische, fremdartige Welt - und dies, obgleich sich reale Menschen in meist realen Settings aufhalten. Die aufgehellten Bildpartien oder das Dämmerlicht, das in seiner Unwirklichkeit an das Day-for-Night-Verfahren erinnert, ist nicht zuletzt auf die filmische Technik zurückzuführen: Mithilfe einer High-Definition-Kamera und digitaler Nachbearbeitung gelang es Kohei Oguri ("The Sleeping Man", 1996), den Bildern eine hohe Künstlichkeit zu verleihen.Wenn man sich vom Gedanken an gängige Erzählkonventionen löst und sich dieser Bilderwelt vollkommen hingibt, wird diese vibrierende Atmosphäre von enormer Intensität erst richtig erlebbar.
Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.
Login & Registrierung