Unser täglich Brot Österreich, Deutschland 2005 – 92min.

Filmkritik

Essen anders

Filmkritik: Eduard Ulrich

Wer diesen Film von Nikolaus Geyrhalter bis zu Ende sieht, wird den Saal wohl als anderer Mensch verlassen. Anders als bei Horst Sterns Skandalreportagen fürs Fernsehen sind diese Bilder wahrscheinlich nicht mehr zu vergessen.

Prinzipiell wissen wir zwar, dass unsere Lebensmittel von einer gigantischen Industrie produziert werden, aber selten wird uns das derart schonungslos vor Augen geführt wie in dem ausschliesslich in Europa gedrehten Dokumentarfilm von Nikolaus Geyrhalter. Er konzentriert sich auf wenige, umsatzstarke "Produkte" wie Äpfel, Hühner, Schweine und Kühe, wobei er wesentliche Momente im meist kurzen Leben der Tiere auf ihrem direkten Weg von der Zeugung in den Handel herauspickt.

Das reicht vollkommen, um nicht nur einen Eindruck sondern auch ein Gefühl dafür zu bekommen, was die Spezies Mensch mit anderen Spezies und der Umwelt anstellt, weil sie ihre Bedürfnisse so bequem und billig wie möglich befriedigen will. Rücksicht auf andere, einschliesslich der ArbeiterInnen, wär dabei nur hinderlich, und so ist es eine Ironie dieser unglaublichen Entwicklung, dass ihre Opfer auch die schwächeren Mitglieder der eigenen Spezies sind.

Es geht Geyrhalter aber weniger um solche intellektuellen Erkenntnisse, auch wenn einige raffinierte Geräte vorgeführt werden, von deren Existenz wohl die meisten nicht die leiseste Ahnung haben und die in Ton und Bild ordentlich etwas hermachen, es geht vielmehr um das Fühlen der Dimension und der Automation. Die Kamera reflektiert die schablonenhaften, fliessbandartigen Herstellungsprozesse, indem sie die wenigen Sujets, z.B. das Kastrieren von jungen Ebern, in ruhigen Einstellungen längere Zeit wirken lässt. Bei nahezu statischem Geschehen wie beim Säugen der Ferkel laufen die scheinbar identischen Wurfboxen wie die "Fächer" eines Paternosters horizontal übers Breitleinwandbild.

So findet das Auge auch da keinen Punkt, den es fixieren kann, um der unangenehmen Wahrheit auszuweichen. Geyrhalters Film, der kein Wort des Kommentars verwendet und Menschen fast nur dann zeigt, wenn es unvermeidlich ist, zeugt von nichts weniger als der bereits weit fortgeschrittenen Industrialisierung der Natur. Mich hat er nicht nur in seiner repetitiven Eindringlichkeit an Koyaanisqatsi erinnert, sondern auch in seiner stummen (An-)Klage. Nach dem beeindruckenden "Pripyat" und dem originellen Doppelpack "Elsewhere I & II" folgt ein wiederum historisch und dokumentarisch unvergleichliches Werk.

26.03.2024

5

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Kommentare

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brodequin

vor 16 Jahren

Schade, dass dieser Film nicht ein breiteres Publikum fand, er würde sich erheblich auf unser Konsumverhalten auswirken. Aber schmerzhafte Wahrheiten sind halt beim Durchschnittsbürger noch nie gut angekommen. Leider haben mir ein Rentnerpärchen, das den Film unablässig lautstark kommentierte und eine endlos kichernde Frau mittleren Alters ein wenig das Kinoerlebnis verdorben. Aber der Film an sich ist absolut sehenswert!Mehr anzeigen


Taz

vor 16 Jahren

Ohne Musik oder Kommentar. Dafür mit orginalen Geräuschen der tödlichen Maschinen.
Krasse Szenen, aber irgendwie wär halt eine Erklärung schon nicht schlecht gewesen. So sitzt man da, ekelt sich ab den Bildern, weiss aber nicht wirklich, was jetzt da grad passiert.


jayef79

vor 16 Jahren

der film übertrifft we feed the world einfach bei weitem... muss man mal gesehen haben.


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