Nach der Hochzeit Dänemark, Schweden 2006 – 124min.

Filmkritik

Gut versus Mensch

Beatrice Minger
Filmkritik: Beatrice Minger

In "After the Wedding" kommt Schauspielchamäleon Mads Mikkelsen zum dritten Mal in kürzester Zeit («Adams Apples», «Casino Royale») in die Schweizer Kinos. Diesmal fliesst ihm das Blut jedoch weder aus dem Ohr noch aus dem Auge, sondern pocht nervös hinter den zornigen Schläfen, bis es schliesslich dahin findet, wo es hingehört - zum Herzen.

Der Aussteiger Jacob (Mads Mikkelsen) arbeitet seit Jahren in einem Waisenhaus in Indien. Das von ihm aufgezogene Projekt braucht nun dringend Geld, damit es weiterhin überleben kann. Eine grosse Summe lockt vom millionenschweren Geldgeber Jorgen (Rolf Lassgard) in Kopenhagen. Dieser will ihm das Geld aber nur unter der Bedingung zusprechen, dass Jacob persönlich nach Dänemark reist, um für sein Projekt zu werben. Die Begegnung mit seinem mysteriösen Gönner ist schicksalhaft und folgenschwer.

Als Jacob von Jorgen spontan zur Hochzeit seiner Tochter eingeladen wird, wechselt der Film den Ton von der Drittweltproblematik mit Kapitalismuskritik zum Familiendrama. An der Feier trifft er unverhofft auf seine alte Jugendliebe Helene (Sidse Babett Knudsen), welche offenbar die Ehefrau von Jorgen ist. Und allmählich dämmer ihm, dass ihn mit dieser Familie noch mehr verbindet.

Wenn Susanne Bier Familien- und Beziehungsgefüge porträtiert, hat das oft den Charakter eines Experiments. Und jedesmal lieferte einer der wichtigsten Architekten des dänischen Filmwunders die Drehbuchvorlage, Drehbuchautor Anders Thomas Jensen. In "Open Hearts" (übrigens ebenfalls mit Mads Mikkelsen) sind es zwei Pärchen, die sich überkreuzt neu verlieben und mit den Konsequenzen ringen. In "Brothers" kehrt ein traumatisierter Kriegsgeneral aus dem Afghanistan-Krieg zurück und hat Schwierigkeiten, sich im Alltag seiner jungen Familie zurechtzufinden. In "After the Wedding" wird nun untersucht, was dabei herauskommt, wenn Grenzen der Macht und Kontrolle im Namen der Liebe überschritten werden.

Dabei sind die Figuren nicht nur sich selber ausgeliefert, sondern auch der - immer noch leicht "dogmatischen" - Kamera. Wie sie sich forschend den Probanden annimmt, sie in solch dreister Nähe einfängt, dass sich weder nervös nestelnde Hände, noch Augen, die vom vielen Weinen gerötet sind, verbergen lassen, hat bisweilen etwas Zerfleischendes. Andererseits behält sie aber auch immer den analytischen Abstand, bleibt beobachtend in der Ecke und lässt den Figuren ihren Raum und ihre Würde. Das Wechselspiel von Nähe und Distanz ist intensiv, zuweilen expressiv und geht schwer ans Herz - und an die Augen. Die Darsteller stellen sich der Versuchsanordnung auf beeindruckende Weise und mit grösster Schauspielkraft. Mit diesem hochkarätigen Ensemble von Regie, Schauspiel und Drehbuch bestehen beste Chancen an der diesjährigen Oscar-Preisverleihung den Preis als besten ausländischen Film abzuräumen.

31.05.2021

5

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Kommentare

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kayleligh

vor 11 Jahren

dänische Filme gehen immer, so nah am Schauspieler, Dramatik und immer noch ein bisschen Humor


Gelöschter Nutzer

vor 14 Jahren

Nach der Hochzeit der Kinder, die sich als Schuss in den Ofen entpuppt, wird eine Lawine losgetreten, die alles, was bisher unter den Teppich gekehrt worden ist, aufdeckt. Alle Leichen im Keller der Beziehungen werden als Licht gezerrt. Am Anfang steht eine missglückte Beziehung mit Folgen. Was dann folgt, ist eine sehr komplexe Schilderung der menschlichen Verantwortlichkeiten dafür. Die Dialoge und Reaktionen der Figuren sind absolut überzeugend und bewegen sich in einem Netz aus unerfüllter oder wieder möglicher Liebe, finanzieller Wiedergutmachung, verletztem Stolz und charakterlicher Weiterentwicklung zum Besseren hin. Beeindruckend erzählt, kommt keine Depression auf, denn in jeder Krise steckt auch eine Chance, die von den Betroffenen ergriffen wird…Mehr anzeigen


bullettooth

vor 15 Jahren

Da wird einem das Herz schwer und das ohne Aufdringlichkeit. Ich mag das verschwiegene Wesen des Hauptdarstellers sehr, er wirkt wie ein Anker im Sturm der Tragödien.


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