Schwimmen mochte ich noch nie Italien 2006 – 109min.
Filmkritik
Hochs und Tiefs einer Kindheit
Kim Rossi Stuarts Film erzählt aus der Sicht eines Elfjährigen von einem Familienleben, in dem jeder das Beste versucht, vieles schief läuft - und man doch irgendwie durchkommt.
Seit Tommys Mutter die Familie verlassen hat, versucht sein Vater, ein freischaffender Kameramann, ihn und seine Schwester allein aufzuziehen. Den labilen, eigensinnigen und aufbrausenden Charakter des Vaters bekommen nicht nur seine Auftraggeber, sondern auch die Kinder zu spüren. Wütend reagiert er auch auf Tommys schüchterne Bitte, dem Fussballclub beitreten zu dürfen, denn schliesslich soll er Spitzenschwimmer werden.
Auch wenn der besonnene Junge einen auffälligen Gegenpol zu seinem unausgeglichenen Vater bildet, der Ohrfeigen verteilt und gleich darauf zu Spässen aufgelegt ist: Kim Rossi Stuart verleiht der Figur Charme und Feuer. Sein Enthusiasmus für eine Sache kann den Vater aber schon mal den Job kosten, etwa wenn ihn bei einem Dreh ein Kamelmaul mehr fasziniert als das daneben stehende Auto, für das geworben wird.
Eines Tages kehrt die Mutter in Tränen aufgelöst zurück. Als der Vater ihr widerwillig eine letzte Chance gibt, ist Viola begeistert, Tommy aber schwankt zwischen Freude und Argwohn. Er traut dem neuen Glück nicht - zu oft wurde er enttäuscht. In wichtigen Momenten hat die Mutter gefehlt, dies spürt man beim Arztbesuch, als sie angibt, Tommy hätte die Windpocken nicht gehabt und er sachlich widerspricht: "Du warst damals nicht da." Der Elfjährige ist selbständiger geworden und hat gelernt, ohne Mutter auszukommen.
Entschlossen, alles wieder gut zu machen, versucht diese, ihren Sohn wieder für sich zu gewinnen. Tommy geniesst zwar die innigen Momente mit seiner Mutter, zu seinem eigenen Schutz bewahrt er aber eine gewisse Distanz. Und sein Misstrauen ist schliesslich nicht unberechtigt...
Ohne altklug oder gekünstelt zu wirken, bringt Tommy-Darsteller Alessandro Morace diese ernsthaften, wissenden Züge ein, die teils fast an einen Erwachsenen erinnern. Es gelingt ihm bestens, das Gleichgewicht zwischen einer verspielten, übermütigen und einer in sich gekehrten, reifen Seite zu halten. Dazu sind nicht viele Worte notwendig; der blosse Gesichtsausdruck des Jungen erzählt die Geschichte vom Zwiespalt zwischen Misstrauen und Hingabe an die Liebe der Mutter.
Nicht zu Unrecht wurde der Vergleich zu François Truffauts autobiografisch gefärbtem Klassiker "Les 400 Coups" gezogen. Die Einsamkeit des Jungen, die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit und deren Erschütterungen, der Seitenblick auf harmonische Familien oder der Rückzug des Jungen in eine eigene Welt - bei Tommy sind es die Dächer hoch über der Stadt, wo er ein Fernrohr und kleine Schätze versteckt hält.
Von Truffaut schliesslich stammt auch die Aussage, dass er niemandem glaube, der behaupte, er hätte eine glückliche Kindheit gehabt. Obgleich "Anche libero va bene" mit Tränen endet, gibt es hier Hoffnung, dass Tommys Kindheit eine glücklichere Wendung nehmen könnte: der Vater scheint einsichtiger, zugänglicher. Doch für wie lange?
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Kommentare
Als Alleinerziehende weiss ich, wie schwer das Leben ist oder sein kann. Mein Sohn erfährt das auch. Er ist im Alter des Protagonisten. Die Thematik des Films ist echt und der FIlm zeigt sehr gut, wie dieses Leben an die Nieren geht, vor allem aus der Perspektive des Jungen, aber auch der Eltern. Für mich ist er ein Meisterwerk, denn was Alleinerziehende und Kinder aushalten müssen, können andere nur verstehen, wenn sie damit konfrontiert werden.… Mehr anzeigen
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