Neulich in Belgien Belgien 2008 – 102min.
Filmkritik
Die Würze des Lebens
Eine unmögliche, unvernünftige, verrückte und manchmal kranke Liebesgeschichte erzählt dieses außergewöhnliche Leinwanddebüt, aber eben auch eine echte, glaubwürdige, herzerfrischende.
Die Mittvierzigerin Matty versinkt im Alltagstrott: Drei prä- inter- und postpubertäre Kinder, der seit frühesten Jugendtagen geliebte Ehemann seit fünf Monaten bei einer seiner Kunststudentinnen und der einzige glühende Verehrer ein ältlicher Bestattungsunternehmer, der die Postangestellte ebenso scheu wie konsequent anflirtet.
Die einzige Würze des Lebens besteht für Matty im Mustard, dem Senf mit dem sie alle Zwischentöne übertünchend mittäglich Blutwurst und Püree zukleistert. Mitten in der Hektik des Alltags legt Mustard Matty den Rückwärtsgang ein - und rauscht voll in eine andere Kunstfigur, in «Johnny Camione il Amoroso», einen ungestümen jungen LKW-Fahrer mit Italientick. Es folgt ein rüder verbaler Schlagabtausch auf dem Supermarkt-Parkplatz bis die Polizei den Unfall aufnimmt. Doch eine Bemerkung trifft Johnny nachhaltig: Er lebe im toten Winkel, hat Matty-Menschenkennerin ihm entgegengeschleudert und so nicht nur den wunden Punkt, sondern auch die weiche Seite in Johnny berührt. Er nimmt sich vor, diese Frau zu erobern, doch sie macht es dem Charmeur wahrlich nicht leicht. Und obwohl Johnny schnell einen Draht zu ihren Kindern findet und offensichtlich neue Lebenslust in den Alltagstrott bringt, warten noch einige dunkle Überraschungen auf Matty, denn auch Johnny hat eine harte Zeit hinter sich und trägt sein Päckchen Schuld nicht immer mit Würde. Als auch noch der Ex auf Mattys Matte steht und sie zurück will, scheinen ihr Johnnys rote Schuhe aus Italien auf einmal wirklich nicht mehr zu passen.
Doch ebenso wie Matty den Mustard gegen wirkliche Empfindung zu tauschen lernt, erkennt der Zuschauer, dass eine pilcheresk anmutende Grundkonstellation fernab des TV-Maggis sehr frisch und bemerkenswert authentisch erzählt werden kann. Die genau richtige Prise Pfeffer und Salz verleihen diesem lebensnahen Beziehungsdrama vor allem die außerordentlichen Darsteller und ihr Mut, auch das Peinliche authentisch zu verkörpern. Der unsentimentale Erzählton, gehöriger Dialogwitz, groteske Situationskomik, und eine große Liebe zu ausnahmslos allen seiner seltsamen Figuren macht das Liebesringen zwischen Trennungsschmerz und Neubeginn im Genter Vorort Moscou in allen Belangen zu einer sehenswerten Leinwandreise.
Zu recht wurde Christophe van Rompaeys Regiedebüt mit stehenden Ovationen in der «Semaine de la Critique» in Cannes und dem Variety Talents Award beim 4. Zurich Film Festival ausgezeichnet.
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Kommentare
Ein absolutes Muss. Grossartig gespielt, dazu eine sehr lustige Sprache
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