Pandora's Box Belgien, Frankreich, Deutschland, Türkei 2008 – 114min.

Filmkritik

Bewegendes Familiendrama

Walter Gasperi
Filmkritik: Walter Gasperi

Drei in Istanbul lebende erwachsene Geschwister, die mit ihrem eigenen Leben nicht fertig werden, müssen die Fürsorge ihrer an fortschreitender Alzheimer leidenden Mutter übernehmen. Immer klarer treten dabei familiäre Bruchlinien zu Tage. Näher kommen sich nur der rebellierende Enkel im Teenager-Alter und die Oma.

Nicht nur die ländliche Türkei und die Grossstadt Istanbul, sondern auch die Generation der Alten und die der Teenager stellt Yesim Ustaoglu in ihrem beim Filmfestival von San Sebastian mit der Goldenen Muschel ausgezeichneten Familiendrama schon in den ersten Einstellungen einander gegenüber. Im Zentrum des Films steht aber die mittlere Generation, drei erwachsene Geschwister, die erfahren, dass die Mutter (Tsilla Chelton) in ihrem Heimatdorf spurlos verschwunden sei. Was sie nicht nur zwingt, gemeinsam von Istanbul in die Provinz zu reisen, sondern auch sich ihrer Familiengeschichte auseinander zu setzen. Schon die Ausführlichkeit mit der Ustaoglu diese Fahrt in die Berge zeigt, macht die innere Distanz nicht nur zwischen den Generationen, sondern auch zwischen den Geschwistern deutlich.

Weil die Mutter ihr Leben nicht mehr allein meistern kann, nehmen die Kinder sie mit in die Stadt, auch wenn sie viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, als dass sie sich wirklich um die demente Frau kümmern könnten. Die Journalistin Güzin (Övül Avkiran) hat eine unglückliche Beziehung mit einem Macho, Nesrin (Derya Alabora) kommt mit Mann und Sohn (Onur Unsal) nicht klar, weil sie alle und alles kontrollieren will und Mehmet (Osamn Sonant) führt ein Aussteigerleben, das er teilweise von seinen Schwestern finanzieren lässt. Wie ein Katalysator bringt die Anwesenheit der Mutter die Probleme dieser Geschwister ans Tageslicht und nur der Enkel Murat kann langsam eine echte Beziehung zu seiner Oma aufbauen.

Von der ersten Einstellung an stimmt Ustaoglu auf den langsamen Erzählrhythmus ein, der ihren Film bestimmt. Nicht nur den Figuren wird hier Zeit und Raum gelassen, sondern auch dem Zuschauer, zwingt ihn aber auch sich darauf einzulassen. Gleichzeitig passt die unaufgeregte und geduldige Erzählweise aber auch perfekt zum Thema, wird dadurch doch spürbar, wie viel Geduld und Einfühlungsvermögen die Pflege einer dementen Person verlangt. Mit kalten Grossstadtbildern und eingebettet in eine raue Herbststimmung entwickelt sich so nicht zuletzt dank eines exzellenten Schauspielerensembles, aus dem die 91-jährige Französin Tsilla Chelton herausragt, ein zutiefst bewegendes Familiendrama über Entfremdung und emotionale Kälte, das trotz des ernsten Themas nie in Pessimismus verfällt, sondern immer leicht wirkt, für Mitmenschlichkeit plädiert und ohne den geringsten Anflug von Sentimentalität das Gefühl vermittelt, dass das Leben eben so ist und man das beste daraus machen muss.

13.07.2009

5

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