Wolke 9 Deutschland 2008 – 98min.

Filmkritik

Jenseits des Rentner-Sex

Sonja Eismann
Filmkritik: Sonja Eismann

Im Vorfeld wurde so viel über einen einzigen Aspekt von Andreas Dresens neuem Film gesprochen, dass man ihn bereits unter einer Kategorie abgespeichert hatte: Alten-Sex. Dabei geht es hier nicht (nur) um den Tabubruch.

Die Schneiderin Inge (Ursula Werner) hat sich nach 30 Jahren Ehe in einen anderen Mann verliebt, einfach so. Die Partnerschaft mit ihrem Mann Werner (Horst Rehberg) ist immer noch liebevoll, und auch an Sex fehlt es nicht, doch die Liebessehnsucht nach Karl (Horst Westphal) lässt sie nicht los. Als sie den Entschluss fasst, nach dem jahrzehntelangen Zurückstellen ihrer eigenen Bedürfnisse endlich unvernünftig zu handeln, hat das Konsequenzen, mit denen sie nicht gerechnet hat.

Interessant ist es natürlich schon, dass realistische Aufnahmen von Körpern jenseits der 60 oder gar 70, die ganz normalen Sex haben, in einer Gesellschaft, die sowieso bald mehrheitlich jenseits der Midlife-Crisis sein wird, noch für Aufruhr sorgen. Denn den Bildern der verliebten Alten wird zwar im Film viel Platz eingeräumt - nicht umsonst beginnt und endet der Film mit einer Umarmung - doch an ihnen ist nichts Schockierendes, Exponierendes. Vielmehr sind die Einstellungen von einer unaufgeregten Authentizität, die man bei Sexszenen normalerweise vergeblich sucht (wenn man von den perfekt synchronisierten Höhepunkten absieht), wie auch der gesamte Film - um die diskreditierte Vokabel noch mal zu bemühen - von einer Suche nach größtmöglicher, unspektakulärer Authentizität getragen ist.

Ganz im Sinne der nouvelle vague allemande bzw. dem neuen Berliner Kino, das deutlich vom sozialrealistischen österreichischen Film beeinflusst ist, erzählt Andreas Dresen ("Halbe Treppe", "Sommer vorm Balkon") diese Liebesgeschichte mit stillen Bildern und sparsamen Dialogen. Bescheidene Wohnungen, durchschnittliche Lebensläufe, alltagsnahe Dialoge werden hier in den typisch langen Einstellungen ohne glamourisierende Überhöhung oder Sozialvoyeurismus ruhig und bedacht inszeniert. Dazwischen sind immer wieder vermeintlich banale Umgebungsaufnahmen von Blättern, Blumen oder einfach einem Vorhang geschnitten, die als stumme Tableaus beinahe schon unheimlich poetisch wirken. Trotz des moralisierenden Endes gehen die hilflosen Figuren in ihrer Sprachlosigkeit einem so nah, dass sich kaum kritische Distanz zum Geschehen gewinnen lässt. Die Fragilität der Beziehungen dieser Alten, die so viel näher am Tod als am Anfang stehen, bringt einen vor Rührung fast um.

16.09.2021

5

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Kommentare

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willebrand

vor 12 Jahren

Tja, jeder wird mal älter und es ist gut, das man - oder beiden - sich darüber eine klare Vorstellung macht....


waschitz

vor 16 Jahren

Das Verhalten der Darsteller hat mich erschreckt. Irgendwie habe ich die Hoffnung, daß man im Alter Weisheit gewinnt, gerade in Bezug auf die Liebe. Schade. Sie sind nicht klüger geworden. Sie leben alle Impulse aus-eine Sache die ich bei jungen Menschen akzeptieren und verstehen würde. Aber die Sache hat ja einen hohen Preis...Mehr anzeigen


sternchen10001

vor 16 Jahren

sehr trübsinnig und dunkel gehalten..


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