La Fille du RER Frankreich 2009 – 105min.

Filmkritik

Die Lüge in den Zeiten des Fernsehens

Filmkritik: Cindy Hertach

Dass Menschen sich als Opfer erfundener Gewaltdelikte inszenieren, ist ein wiederkehrendes Phänomen. André Téchiné versucht, diese Art der Hochstapelei auf den Spuren einer wahren Begebenheit nachzuzeichnen.

Die Nachricht entsetzte vor einigen Jahren ganz Frankreich: Eine junge Frau wurde mitsamt ihrem Kleinkind im Pariser Vorstadtzug RER Opfer eines antisemitischen Übergriffs. Von den Medien hochgekocht, provozierte der Fall heftige Reaktionen - bis sich der rassistische Angriff einige Tage nach dem Vorfall peinlicherweise als Lügengeschichte des vermeintlichen Opfers entpuppte. André Téchiné nimmt die wahre Begebenheit zum Anlass, die Umstände herauszukristallisieren, die zu dieser Lüge geführt haben könnten. Und er versucht aufzuzeigen, was sie in der französischen Gesellschaft ausgelöst hat. Jean Marie Bessets Theaterstück "R.E.R" diente Téchiné als Vorlage, Besset schrieb am Drehbuch mit.

Jeanne (Emilie Dequenne) ist arbeitslos und wohnt mit ihrer Mutter Louise (Catherine Deneuve) in einem Pariser Vorort. Kurz nachdem sie den Sportler Frank (Nicolas Duvauchelle) kennen- und lieben gelernt hat, zieht sie mit ihm zusammen. Das junge Glück hält allerdings nur, bis Franks Drogengeschäfte auffliegen. Ohne Beziehung und Arbeit und wieder zuhause bei ihrer Mutter fügt sich Jeanne oberflächliche Schnittverletzungen zu. Bei der Polizei behauptet sie, Opfer nordafrikanischer Antisemiten geworden zu sein, womit sie auf der Stelle ein gewaltiges Medienecho auslöst. Jeannes Mutter realisiert, dass etwas an der Geschichte ihrer Tochter nicht stimmen kann und sucht bei ihrem ehemaligen Verehrer und erfolgreichen Anwalt (Michel Blanc) rechtlichen Beistand. Trotz zunehmendem Druck beharrt Jeanne weiterhin auf ihrer Version der Geschichte.

Téchiné teilt seinen Film in zwei Blöcke auf. Im ersten Teil ("Die Umstände") wird nicht nur Jeannes Situation, ihr Verhältnis zu ihrer Mutter und ihrem Freund ausgeleuchtet, sondern ebenso ihr problematischer Umgang mit der Wahrheit. So gibt sie vor, auf Jobsuche zu sein, während sie sich stattdessen tagelang in der Stadt herumtreibt. Ihren Freund dagegen versucht die junge Frau mit einer erdichteten Stelle auf einer Anwaltskanzlei zu beeindrucken. Der zweite Teil des Films betitelt Téchiné mit "Die Konsequenzen" und rückt darin die Lüge des rassistischen Überfalls ins Zentrum und wie ebendiese von Medien und Gesellschaft aufgenommen wird. Trotz diesem quasi-analytischen Ansatz bleibt bis zum Schluss letztlich aber unklar, was die eigentlichen Beweggründe für Jeannes rätselhafte Tat sind. Aber gerade dieser Offenheit ist es zu verdanken, dass die Hauptfigur an irritierender und gleichermassen faszinierenden Unergründlichkeit gewinnt.

13.07.2009

4

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