Nowhere Boy Kanada, Grossbritannien 2009 – 97min.
Filmkritik
Ein Porträt des Musikers als junger Mann
Die britische Künstlerin Sam Taylor-Wood thematisiert in ihrem ersten Kinospielfilm John Lennons schwierige Jugend. Ein wunderbarer, ebenso luftiger wie melancholischer Coming-of-Age-Film, der Biografisches mit Universellem verknüpft.
John (Aaron Johnson) wächst bei seiner Tante Mimi (Kristin Scott Thomas) auf, obwohl seine Mutter Julia wenige Minuten entfernt wohnt - mit einem Mann, der nicht Johns Vater ist. Statt mit dem Stigma einer Patchworkfamilie kämpft John mit Erklärungsnotstand: Wie soll er die Frage beantworten, warum er bei seiner Tante lebt? "Nowhere Boy" zeigt eine liebevolle, an Inzest vorbeischrammende Annäherung zwischen dem rotzig-selbstbewussten John und seiner ebenso exaltierten wie labilen Mutter. Sie steckt ihn mit ihrer Liebe zu Rock'n'Roll an und bringt ihm das Banjospiel bei. Je mehr Zeit er bei Julia verbringt, desto mehr löst er sich von Mimi ab. Diese bildet ein Gegenstück zu ihrer Schwester: Streng kontrolliert sie Johns Schulabsenzen, hört Tschaikowsky statt Elvis und quittiert Johns Übermut mit trockenen Sprüchen statt mit Ausgelassenheit.
Der Distanzierung von Mimi folgt der Bruch mit seiner leiblichen Mutter, als John merkt, dass die Party nicht endlos dauern kann. Er findet eine Heimat in der Musik. John gründet seine erste Band, The Quarrymen, zu der bald ein schmächtiger Dreikäsehoch stösst: Paul McCartney. Er wird als braver Bub gezeigt, der dem Draufgänger John Tricks auf der Gitarre zeigt. Die beiden ergänzen einander - und die Konkurrenz zwischen ihnen ist bereits zu Beginn angelegt.
Sam Taylor-Wood hat sich bereits als Fotografin mit John Lennon beschäftigt - mit Henry Bond stellte sie Annie Leibovitz' berühmtes letztes Porträt des Sängers nach, in dem sich Lennon nackt an seine angezogene Frau Yoko Ono schmiegt. Ihr Interesse für Ikonen spiegelt sich in Taylor-Woods wohl berühmtester Arbeit: Der Videofilm "David" zeigt David Beckham im Schlaf. Auch in "Nowhere Boy" interessiert sie sich mehr für Lennons verletzliche Seite als für die Zementierung einer Legende. Mit Matt Greenhalgh schrieb ein musikversierter Autor das Drehbuch; er verfasste bereits die Vorlage für "Control", die Verfilmung des tragischen Lebens von Joy-Division-Sänger Ian Curtis.
Im brillanten Cast - darunter Taylor-Woods 20-jähriger Ehemann Aaron Johnson in der Hauptrolle - leuchtet Kristin Scott Thomas besonders hell. Wie sie in Mimis Fassade Haarrisse entstehen lässt, in denen Gefühle sich den Weg an die Oberfläche bahnen, muss man gesehen haben.
Dein Film-Rating
Kommentare
Fand den Film super. Sehr attraktive Schauspieler und eine in den Bann ziehende Geschichte. Es war toll die Vorgeschichte eines so erfolgreichen Musikers (und Band) zu sehen.
Für meinen Geschmack ist der Film etwas zu melodramatisch aufgebläht.
Diese Familienproduktion (Regie und Hauptdarsteller) ist inhaltlich akkurat, emotional differenziert und auch für nicht Beatles-Fans sehr aufschlussreich.
Man bekommt einen Einblick in die Musikszene der 50er Jahre als Buddy Holly, Bill Haley und Elvis sie beherrschten. Ausgehend vom vorherrschenden Rock, den jede Band auch die ‘Quarrymen‘ spielten, kann man verfolgen, wie erste neue Tonfolgen und ungewöhnliche Harmonien aufkamen. Insider wissen, dass die Beatles die ersten waren, die mühelos und völlig unverkrampft in einem Song von einer Kreuz- in eine B-Tonart wechselten oder mehrere Kreuztonarten nach einander in ihren Songs verarbeiteten, die bis dato so nie zusammen passten. Dazwischen gab es dann auch mal eine Passage ohne Vorzeichen in C-Dur: G-D-F-G-C. Da war der Rock ‘n Roll musikalisch eher schlicht. Da kam man mit den 4 Grundharmonien immer hin. Hier in der Anfangsphase kann man nur ahnen, wohin die Reise gehen wird. Perfektioniert haben das John und Paul ja erst später auf dem weißen Album.
Ein weiterer wichtiger Aspekt, der hier eindrucksvoll dargestellt wird, ist wie der junge John zwischen Mutter Julia (Anne-Marie Duff) und Tante Mimi (Kristin Scott-Thomas) hin und hergerissen ist. Er liebt beide und wird von beiden abwechselnd weggestoßen und angezogen. Die Lösung fand er in der Musik. Julias tragisches Ende verarbeitet er im Song ‘Julia‘. Da heißt es, nachdem er sie ‘oceanchild‘ mit ‘seashell eyes‘ und ‘morning moon‘ genannt hat noch ‘sleeping sand‘ und ‘silent cloud‘.
Dass der Hauptdarsteller Aaron Taylor-Johnson John Lennon kein bisschen ähnlich sieht, stört nur am Anfang. Dafür gibt es einen symbolisch kongenialen Titel in Anlehnung an den Text vom ‘Nowhere Man‘. Gelungen.… Mehr anzeigen
Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.
Login & Registrierung