CH.FILM

Tannöd Deutschland, Schweiz 2009 – 100min.

Filmkritik

Ein Dorf voller Verdächtiger

Patrick Heidmann
Filmkritik: Patrick Heidmann

Wer Andrea Maria Schenkels Roman "Tannöd" las, sollte nur am Rande an dessen reale Inspiration denken - einen bis heute ungeklärten Mordfall aus dem Jahre 1922. Mit Bettina Oberlis gleichnamigem Film und seiner Vorlage verhält es sich ähnlich: allzu genau sollte man den Bestseller beim Blick auf die Leinwand nicht im Kopf haben.

Bettina Oberli entfernt sich ziemlich weit von dem Buch, das als kleinteiliges Mosaik aus verschiedenen Erzählstimmen und Perspektiven daherkommt. Gleich eine ganz neue Ebene wird der Geschichte hier verpasst, als die junge Krankenschwester Kathrin (Julia Jentsch) zwei Jahre nach dem Mord an der Familie Danner in ihre Heimat zurückkehrt, um ihre Mutter zu beerdigen. Überall wird sie mit den dunklen Schatten jener Tat konfrontiert, und versucht schließlich, das dichte Netz aus Geheimnissen, Lügen und Schweigen zu entwirren, das bleischwer auf den Bewohnern des Ortes lastet. Doch es dauert nicht lange, bis sie sich selbst darin zu verfangen droht.

Vom bigotten Pfarrer über Kathrins Jugendschwarm bis hin zu ihrer verstorbenen Mutter scheint niemand frei von Schuld, und auch wenn der Film anders als das Buch diese Menschen nie in den Mittelpunkt rückt, so drücken sie ihm doch ihren Stempel auf. Denn so sehr "Tannöd" dem Zuschauer mit der patenten Protagonistin eine Identifikationsfigur an die Hand gibt, so sehr bemüht er sich auch um unchronologisches Erzählen und unterschiedliche Blickwinkel. Immer wieder werfen Rückblenden ein wenig Licht auf die Geschehnisse des Mordtages, manchmal direkt und ungefiltert, dann wieder verfälscht durch die Wiedergabe eines Dritten. Hin und wieder spürt man dabei die Schwierigkeiten, der Struktur des Romans zumindest ansatzweise treu zu bleiben - und gelegentlich gerät "Tannöd" leicht aus dem sonst reizvoll in der Schwebe gehaltenen Takt.

Doch was Bettina Oberli, die mit "Die Herbstzeitlosen" zuletzt einen der erfolgreichsten Schweizer Filme aller Zeiten gedreht hatte, ab und an im Halten der Spannung misslingt, macht sie durch ihr Gespür für Atmosphäre wieder wett. Die beklemmende Enge der Provinz in den beginnenden 1960ern, die zur unheimlichen Musik wogenden Wälder und die vieldeutig gezeichneten Figuren verdichten sich zu einem gespenstischen Sittengemälde, das mindestens so sehr Heimatdrama wie Krimi ist und von Kameramann Stéphane Kuthy in stimmigen Bildern eingefangen wird.

04.12.2009

4

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Kommentare

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JustinMegain

vor 11 Jahren

Also ich fand es spannend


gnoemli

vor 14 Jahren

... fast zu spannend für zartbesaite Seelen...


flohodel

vor 14 Jahren

Mit grosser Spannung und der Hoffnung auf einen spannenden und beklemmenden Film, setzte ich mich ins Kino. Der Film beginnt. Kurz nach Start ein kleiner Schrei - aber nicht im Film, sondern eine genau so gespannte Zuschauerin. Bezeichnenderweise war dies die einzige Reaktion im Zuschauerraum bis zur Pause. In der Pause wollte noch niemand wirklich so ganz dazu stehen, dass die Spannung doch etwas sehr abgeflaut war. Gut, gewisse schöne Bilder und Einstellungen und die gut komponierte Musik wurden angesprochen, aber nicht mehr. Eine gute Geschichte will ja sorgfältig aufgebaut sein... Gut. Leider entwickelt sich der zweite Teil des Films kaum. Ausser, die Bilder, die werden noch besser. Schönstes Bild: Die ganze Dorfgemeinschaft strömt aus dem Wald Richtung Tannöd-Hof. Die Geschichte? Tja, die Geschichte bemüht sich noch immer sorgfältig aufgebaut zu sein und gerne auch spannend... Aber eben, es bleibt bei der Bemühung. Ein Raunen erfüllt den Saal beim Schlussbild... "Das kann jetzt aber unmöglich der Schluss gewesen sein?! " Doch, war es. Weder überraschend, noch intelligent, noch tiefgründig ist der Plot. Und beklemmend? Nein, leider auch nicht. Schockierend? Auch nicht. Alles in Allem ein - leider - Film, der die Welt nicht braucht. Das ist umso trauriger, als die Darsteller, das Szenenbild, die Musik und vor allem die Rückblicke sehr gut gemacht sind.Mehr anzeigen


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