Bad Boy Kummer Schweiz 2010 – 92min.
Filmkritik
Der grösste Fälscher der Schweizer Mediengeschichte
Er mischte in den Neunzigerjahren die Presselandschaft auf - vom "Spiegel" über die "Süddeutsche Zeitung" bis zum "Tages-Anzeiger". Er war ein genialer Fälscher, bis er entlarvt wurde: Der Berner Tom Kummer türkte Interviews und Reportagen. Miklós Gimes versucht, dem Phänomen Kummer und seiner (inszenierten) Wahrheit beizukommen.
Da sitzt er nun im sonnigen Kalifornien samt seiner Familie - seit über einem Jahrzehnt. Als Personal Trainer für Paddle-Tennis, der US-Abart eines gewissen Fitness-Tennis, verdient Tom Kummer seine Brötchen. Es war für ihn nicht leicht, wieder auf die Beine zu kommen nach dem Mediensturm, den er um 2000 ausgelöst hatte. Der Berner hatte sie alle über vier Jahre und mehr hereingelegt: Grosse Blätter wie den "Spiegel" oder die Magazine der "Süddeutschen Zeitung" und des "Tages-Anzeigers" hatten bei ihm eingekauft. Fiktive Interviews mit Stars wie Pamela Anderson, Sharon Stone, Bruce Willis, Brad Pitt oder Boxer Mike Tyson wurden publiziert.
Auch Reportagen waren von ihm getürkt oder zusammengestiefelt, im Jahr 2000 flog der Schwindel auf. Tom Kummer wurde als intelligenter, aber krimineller Fälscher entlarvt. Der Jammer war gross, es rollten Köpfe. So mussten beispielsweise die Verantwortlichen beim SZ-Magazin, Ulf Poschardt und Christian Kämmerling, ihre Sessel räumen. Der brillante Hochstapler wurde geächtet und bekam als Journalist kein Bein mehr auf die Erde. Die "Berliner Zeitung" gab ihm 2005 nochmals eine Chance, aber Kummer stahl bei sich selber und lieferte eine Reportagen-Collage, die sich aus Texten zusammensetzte, die bereits in der NZZ und im "SZ-Magazin" erschienen waren.
Miklós Gimes, der in den Neunzigerjahren beim "Magazin" als stellvertretender Chefredaktor tätig war, nahm es wunder, was es mit dem Interview-Erfinder, Fälscher und Schreiberling Kummer auf sich hatte. Seine Recherchen sind eine Reise in die Medienvergangenheit und die teilweise spannende Beschreibung eines Phänomens. Wie konnte man auf diesen unverfrorenen, aber brillanten Scharlatan hereinfallen, fragt man sich heute, wenn Kummer selbst im Gimes-Film Passagen aus seinem hochgestochenen "Interview" mit Mike Tyson, ehemaliger Boxweltmeister im Schwergewicht, vorliest. Man schüttelt den Kopf - heute. Aber Medienmacher schluckten die Pille dazumal, die ihnen Kummer verabreicht hatte. Dass Beteiligte wie Roger Köppel (dazumal Chef des "Magazin") oder Christian Kämmerling ("SZ-Magazin") sich nicht der Kamera stellen wollten, ist eher ein Armutszeugnis.
Filmer Gimes vermag in seinen Recherchen und Interviews mit Zeitzeugen dem Phänomen Kummer nahe-, aber nicht beizukommen. Kummer selbst zeigt sich selbstverliebt, ungerührt reuelos und von sich überzeugt, wähnt sich eher als Opfer denn als Täter, etwa nach dem Motto: "Die haben es ja so gewollt". Auch wenn die Gestalt Kummer zwielichtig und fragwürdig im Film bleibt, gelingt es Miklós Gimes doch, das Thema Wahrheit und Wahrnehmung, inszenierte Wirklichkeit und Unterhaltung nachhaltig und denkwürdig zu beschreiben - am Fall "Bad Boy Kummer".
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