La mirada invisible Argentinien, Frankreich, Spanien 2010 – 95min.
Filmkritik
Befreiung zur Befriedigung
Allenthalben fallen die Diktaturen, da lohnt sich ein Blick auf die vergangene argentinische Militärdiktatur, der die für Revolutionen von unten typische Verbindung gesellschaftlicher Unterdrückung und privater Lust thematisiert.
Der Höhepunkt der argentinischen Militärdiktatur war gleichzeitig ihr Endstadium. Von 1976 bis 1983 verschwanden mehr als 30'000 Menschen, die meisten von ihnen waren unpolitisch und unbescholten. Während die Junta die Überwachung ausbaute, wuchs der Widerstand. 1982 gibt es Unruhen in Buenos Aires. In diese Zeit fällt die kurze, aber eindringliche Geschichte um eine 23jährige Schulangestellte, die an einem Elite-Gymnasium dafür verantwortlich ist, dass die rigiden Regeln eingehalten werden.
Sie selbst lebt mit Mutter und Großmutter in einer kleinen Wohnung, die auch als Arbeitsplatz dient, denn die Frauen verdienen sich mit Schneidern ein karges Auskommen. Der Vater hat sich aus dem Staube gemacht, der Großvater ist wohl verstorben. Rückzugsmöglichkeiten gibt es nicht, ein Privatleben kann oder will die junge Frau nicht führen, auf einer Party einer Freundin entzieht sie sich den männlichen Avancen, und auch die plumpen Annäherungsversuche des viel älteren Schuldirektors prallen an ihr ab. Sie ist aber keineswegs gefühlskalt oder lustlos, sie schwärmt für einen der fast erwachsenen Schüler, und den (männlichen) Schülern vorbehaltene Räume scheinen sie magisch anzuziehen.
Diego Lerman setzt dieses aufs Wesentliche reduzierte Lehrstück nach dem Buch "Ciencias morales" von Martin Kohan in strenge Bilder, bleibt nah an den Figuren, inszeniert dezent. Die damalige Enge ist zu spüren, der Mief der Bespitzelung förmlich zu riechen, die Spannung zwischen Wünschen und Möglichkeiten schmerzt. Der hermetische Kosmos der überwachten Schulgemeinschaft ist Abbild der Gesellschaft, das todlangweilige Rumpffamilienleben der Nährboden für die Sehnsucht nach Veränderung.
Hier könnte eine leise Kritik ansetzen, denn diese arg konstruierte Konstellation, die in ihrem Zusammenhang zwischen politischer und sexueller Unterdrückung an einen zentralen Aspekt von "1984" erinnert, lässt doch wenig vom tatsächlichen Leben eindringen. Der strikte Fokus auf die wenigen Personen, deren Motive und Persönlichkeiten nicht plastisch werden, könnte einen Teil des Publikums ermüden. In Cannes war es aber begeistert, denn es feierte das in der Nebensektion "Un cerain regard" gezeigte Werk angeblich mit einem langen Applaus, und die Jury am Sundance-Filmfestival 2009 verlieh ihm den Preis für den besten lateinamerikanischen Film.
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Kommentare
Die unterkühlt erzählte Geschichte in der Endphase der argentinischen Militärdiktatur lässt einen erschauern.
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