Rio Sonata Schweiz 2010 – 85min.
Filmkritik
Die brasilianische Mercedes Sosa
Nana Caymmi wurde 1941 in eine brasilianische Musikerfamilie geboren und ist bis heute eine erfolgreiche Sängerin. Georges Gachot lässt in seinem Porträt neben den Gesprächen mit Caymmi und anderen viel Musik erklingen. Aber dieses sehr brasilianische Phänomen bleibt doch etwas fremd.
Kein Zweifel, Caymmi ist eine hochbegabte Sängerin, die schon als Kleinkind, so besagt es jedenfalls eine Anekdote, zu weinen begann, als ihr das Kindermädchen die Melodie des Blumenwalzers von Tschaikowski falsch vorsang. Unklar ist dabei, ob die Melodie in sich falsch oder nur in der falschen Tonhöhe vorgetragen wurde.
Caymmi besitzt das (angeborene) absolute Musikgehör, eine Transpositionsleistung kann man aber selbst von einem derart begabten Kleinkind nicht verlangen. Leider ist dieses wesentliche Detail symptomatisch für den insgesamt sympathischen Film, denn einigen interessanten Linien kann oder will der Film nicht weit nachgehen, obwohl sie eine Brücke zwischen Brasilien und Europa schlagen könnten. Beispielsweise die behauptete Affinität Caymmis zur europäischen Kunstmusik (Beethoven, Tschaikowski, Debussy) und die langjährige Bekanntschaft mit dem weltbekannten Pianisten Nelson Freire. Stattdessen kommen bekannte Musiker und ehemalige Liebhaber wie Gilberto Gil, Antonio Jobim und Milton Nascimentos wie auch ihre Brüder ausführlich zu Wort, womit man eine Ahnung von Caymmis Bedeutung für die Entwicklung der brasilianischen Musikszene und ihrer Vernetzung bekommt.
Caymmis Stilschwerpunkt ist die elegante Ballade, elegischer Gesang mit Gewicht auf dem Wort. Sie erzählt nicht nur in den Gesprächen vor der Kamera sondern auch in ihren Liedern von ihren Erfahrungen im Leben und gibt ihre Erkenntnisse preis. Wer Caymmi noch nicht kennt oder kein Fan ist, wird sich hier und da wahrscheinlich wünschen, dass mehr zum Handwerk und zur Rolle als Künstlerin zu hören wär, aber so wird wenigstens die Persönlichkeit Caymmis plastisch.
Sehr schön sind viele der Bilder, die Matthias Kälin und Pio Corradi eingefangen haben. Sie entfalten eine eigenständige Wirkung, weil sie nie die Musik plakatieren, sondern immer wieder spannende Blicke auf Stadtleben und Natur gewähren. Man kann es Regisseur Gachot nicht hoch genug anrechnen, dass er vollständig im Hintergrund bleibt und Caymmi und ihre Musik uneingeschränkt ins Zentrum stellt. So bleibt eigentlich nur die Frage, warum Caymmi außerhalb Brasiliens nicht einmal annäherend so bekannt ist wie die vor knapp einem Jahr verstorbene Grande Dame der argentinischen Musik, die nur sechs Jahre vor Caymmi geboren wurde.
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