Shanghai China, Hongkong, Niederlande 2010 – 83min.

Filmkritik

Erwachsen werden in der Revolution

Filmkritik: Cindy Hertach

Tausende von Menschen strömten in China Ende der 1980er-Jahre für mehr Demokratie auf die Strasse. Der Shanghaier Regisseur Shu Haolun reflektiert diese historische Epoche durch die Augen eines Jugendlichen und erzählt dabei vom Erwachsenwerden in schwierigen Zeiten.

Shanghai, 1989: Zusammen mit seinem Grossvater (Shouqin Xu) lebt der sechzehnjährige Xiaoli (Ewen Cheng) in einem traditionellen Shikumen-Quartier. Die Platzverhältnisse in den alten Backstein-Gebäuden sind beengt, das Leben spielt sich hauptsächlich in den Gassen und Gemeinschaftsküchen ab. Vor allem die Jugendlichen leiden unter der fehlenden Privatsphäre und träumen von einer aufregenden Zukunft. Während Xiaoli, der heimlich für seine hübsche Nachbarin Lanmi (Xufei Zhai) schwärmt, Fotograf werden will, würde diese am liebsten gleich in die USA abhauen. Lili (Lili Wang) dagegen, Xiaolis wohlhabende Schulfreundin, sehnt sich nach politischer Veränderung und verschreibt sich deshalb der erstarkenden Studentenbewegung. Mit ihrem Engagement bringt sie nicht nur sich selbst, sondern auch Xiaoli in grosse Schwierigkeiten.

Das Coming-of-Age-Drama von Haolun Shu ist biographische und gleichzeitig historische Vergangenheitsbewältigung. Nach zwei relativ erfolgreichen Dokumentarfilm-Arbeiten über die Schattenseiten von Chinas wirtschaftlichem Aufstieg entschied sich Shu, über den prägendsten Wendepunkt seiner Jugend einen Spielfilm zu drehen. Entstanden ist eine differenzierte und in ihrer Offenheit einzigartige Reflexion über Chinas jüngste Geschichte. Der Sommer, in welchem Shanghai Shimen Road verortet ist, fällt sowohl mit dem sexuellen Erwachen der jugendlichen Hauptfigur Xiaoli als auch dem erstarkenden Selbstbewusstsein der chinesischen Bevölkerung zusammen und verschränkt somit sinnigerweise Chinas Geschichte des Erwachsenwerdens auf individueller und gesellschaftlicher Ebene.

Sensibel, unaufgeregt und mit einem Hang zur Nostalgie zeichnet Shu das Bild jener idealistischen Wendezeit-Jugend nach, die ihre ungewisse Zukunft bereits erahnt, sich aber trotzdem mit ganzer Seele danach sehnt. Die Eltern und Grosseltern, immer noch traumatisiert vom Grauen der Kulturrevolution, bieten wenig Rückhalt, weshalb Jugendliche wie Xiaoli, Lanmi und Lili gezwungen sind, ihren eigenen Weg in dieser Aufbruchszeit zu finden. Sie tun dies alle auf ihre eigene Art und Weise – gemeinsam ist ihnen lediglich das brutale Erwachen, welches ihr Land für sie vorgesehen hat.

15.02.2013

4

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