Terraferma Frankreich, Italien 2011 – 88min.
Filmkritik
Von Beständigkeit und Sehnsucht
Emanuele Crialese greift in seinem preisgekrönten Familiendrama die Problematik der illegalen Einwanderung in Italien auf und hinterfragt es auf sozialkritische Weise. Im Konflikt zwischen Moral und Gesetz appelliert er an das soziale Bewusstsein.
Eine Familie auf der italienischen Insel Lampedusa - die Pucillos. Der Grossvater verweigert sich der Moderne, obwohl die Tage für kleine Fischer längst gezählt sind. Den Sohn hat das Meer ihm genommen, Enkel Filippo besitzt keine Lebensperspektive, genauso wie seine Mutter, die von einem besseren Leben auf dem Festland träumt. Filippos Onkel unterhält sich unterdessen mit Führungen für Touristen und zeigt eine heile Welt, inmitten der kargen Landschaft. Dass die Insel von Arbeitslosigkeit und Flüchtlingsproblemen geprägt ist, versucht man zu verbergen. Und dann taucht plötzlich eine Afrikanerin mit ihrem neunjährigen Sohn auf und stellt die Familie auf eine harte Probe.
Terraferma - zu Deutsch: Festland - illustriert Stillstand und Beständigkeit, aber auch die Sehnsucht nach Aufbruch und Veränderung in eindrücklichen Montagen. Zwar können die Dialoge mit den Bildern nicht mithalten, doch die Körpersprache des jungen Filippo benötigt zum Glück nicht viele Worte. Nach Respiro und Nuovomondo hat Emanuele Crialese bereits zum dritten Mal mit dem jungen Sizilianer Filippo Pucillo zusammengearbeitet. Der 22-Jährige übernimmt in Terraferma erstmals die Hauptrolle und überzeugt durch Authentizität und Charisma.
Es fällt anfangs leicht, sich in die Situation der italienischen Familie einzufühlen. Gezeigt werden alltägliche Leuten mit bekannten Familienkonflikten. Wo aber zu Beginn des Films die Charaktere sorgfältig gezeichnet und die Konflikte innerhalb der Familie aufgearbeitet werden, gerät gerade Letzteres zunehmend in den Hintergrund und wird zuletzt sogar gänzlich vernachlässigt. Die Flüchtlingsproblematik als zentrales Thema verdrängt alles vorher Dagewesene und wird teils schon fast klischeeartig sentimental inszeniert. Schöner wäre es gewesen, hätte man den Konstellationen innerhalb der Familie bis zum Schluss mehr Platz eingeräumt. Es scheint fast, als hätte sich Emanuele Crialese etwas gar berechnend auf dieses eine Thema fokussiert. Die Kritik hat es ihm am Filmfestival Venedig denn auch vorgehalten, wo Terraferma mit dem Jurypreis ausgezeichnet wurde - wohl auch der aktuellen italienischen Flüchtlingsproblematik wegen.
Leichte Kost und reine Unterhaltung ist der Film sicherlich nicht. Vielmehr hinterlässt er einen mit dem unguten Gefühl im Magen, dass die heutige Zivilisation noch immer mit grossen Problemen zu kämpfen hat - und wahrscheinlich noch lange haben wird.
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