Nachtlärm Deutschland, Schweiz 2012 – 95min.
Filmkritik
Eine Nacht lang Stress
In der zweiten Zusammenarbeit des Schweizer Erfolgduos Martin Suter und Christoph Schaub (Giulias Verschwinden) verschwindet ein Baby samt VW Golf. Die nächtliche Odyssee entpuppt sich als stark besetztes Genre-Wechselspiel zwischen Ehedrama, Krimi und Roadmovie.
Wer ist schuld, wer leidet mehr, wer stresst wen? Ganz offensichtlich ist der neunmonatige Tim der Auslöser des Eheknatschs zwischen Livia (Alexandra Maria Lara) und Marco (Sebastian Blomberg). Er beklagt sich über Sexlosigkeit, das Baby ist der Störfaktor. Was tun? Man lädt den Winzling ins Auto und fährt durch die Nacht. Bei 130 km/h wird der Säugling still und schlummert ein. Aber auch nur, wenn die Eltern nicht mehr streiten.
Dramatisch wird es, als die Mutter an einer Raststätte zur Toilette geht und der Vater Zigaretten holen will: Das Auto wird geklaut - samt Baby. Das Diebespärchen (Carol Schuler, Georg Friedrich) weiss dabei noch gar nicht, was sie sich mit dem Klau eingebrockt hat. Bei dieser Odyssee durch die Nacht über Asphalt und Wiesen mischt noch ein Motorradfahrer (Andreas Matti) mit, dessen Mercedes von den verzweifelten Eltern kurzerhand zur Verfolgung beschlagnahmt wird und der sich seinerseits den Töff des Diebespaar aneignet. Die Zuschauer werden zu Zeugen einer doppelten Verfolgung. Dabei sind sie im Bilde, während die Akteure noch im Dunklen tappen.
Idee und Drehbuch stammen vom Bestsellerautor Martin Suter, Regisseur Christoph Schaub - das Duo landete mit Giulias Verschwinden einen Grosserfolg - hat Nachtlärm solide umgesetzt. Das Geschehen spielt sich weitgehend in Autos ab; für die Schauspieler eine Herausforderung, die von den beiden Hauptakteuren, aber auch von der Winterthurerin Carol Schuler (als naive Möchtegern-Abenteurerin) und dem Österreicher Georg Friedrich (als rüder "Gesetzloser") überzeugend bewältigt wurde.
Inszenierung und Schauspielerensemble haben Klasse, die Geschichte indes ist durchschaubar und dünn geraten. Über die hochdeutsche Fassung mag man hinwegsehen. Die Schweizer Schauplätze wurden freilich auch eingedeutscht - ein Störfaktor. Insgesamt bleibt die Entwicklung von Nachtlärm unbefriedigend. Was sehr realistisch als Ehedrama beginnt, driftet zunehmend ab - zum durchschaubaren Krimi, zur doppelten Beziehungskiste. Die anfangs komische Irrfahrt endet als banales Roadmovie und Familientherapie. Nachtlärm rüttelt nicht auf, weckt nicht auf und fesselt phasenweise. Der nett unterhaltsame Trip - eine Nacht lang Stress sozusagen - hat gutes TV-Film-Niveau. Am Filmfestival Locarno fand er auf der verregneten Piazza Grande ein grandioses Startforum.
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