Shell Grossbritannien 2012 – 90min.

Filmkritik

Klaustrophobische Weite

Beatrice Minger
Filmkritik: Beatrice Minger

Shell erzählt die Geschichte vom Erwachsenwerden einer jungen Frau, die verwirrende Gefühle zu ihrem Vater entwickelt. Ein stilsicheres, eindringliches und aufwühlendes Langfilmdebüt des schottischen Regisseurs Scott Graham.

Shell (Chloe Pirrie) ist 17 und wächst mit ihrem Vater Pete (Joseph Mawle) in einer abgelegenen Tankstelle im schottischen Hochland auf. Seit die Mutter die Familie verlassen hat, hat Shell gelernt, die Lücke zu füllen. Sie steht an der Zapfsäule, besorgt den Haushalt und klemmt ihrem Vater bei seinen epileptischen Anfällen ein Stück Holz zwischen die Zähne. Mit ihrem warmen Wesen pflegt Shell eine spärliche Stammkundschaft, doch die meisten Autos und Lastwagen sind auf der Durchreise und hinterlassen höchstens eine stete Lärmkulisse. Gefangen auf dieser kleinen Insel in einer kargen Landschaft hat Shell Gefühle für ihren Vater entwickelt, die die Schwellen der familiären Zuneigung überschreiten. Pete sperrt sich gegen Shells Annäherungsversuche, doch selber einsam, sehnt er sich wiederum ebenso wie seine Tochter nach emotionaler Wärme. Eine starke Bindung, gegen die der Mechaniker Adam (Iain de Caestecker), der hartnäckig um Chloes Gunst buhlt, nur schwer ankommt.

Scott Graham bezeichnet Shell als Roadsidemovie, "in dem die Charakteren in einem Ort gefangen sind, der keine Entwicklung zulässt – ausser sich zu jemandem zu entwickeln, der irgendwann explodiert". Mit einer konsequenten Reduktion der Mittel – praktisch nur ein Drehort und wenige Schauspieler – gräbt sich Graham in die untersten Schichten dieser ambivalenten Vater-Tochter Beziehung. Mit einem behutsamen und liebevollen Blick nimmt sich die Kamera Zeit, die verschlossenen Figuren zu erkunden und ihre starke Bindung und Zuneigung zueinander zu verstehen.

Dass dies gelingt, ist auch dem stimmigen Cast und seiner schauspielerischen Leistung zu verdanken. Die Hauptdarstellerin Chloe Pirrie wird zu recht als Shootingstar gefeiert. Aber auch Joseph Mawle berührt mit seiner Interpretation des sperrigen und in sich zurückgezogenen Petes, der in einem Dilemma steckt. Als Vater lastet auf ihm die Verantwortung, Shells Zuneigung nicht auszunutzen und trotzdem ist er auf ihre Hilfe und Liebe angewiesen. Wie Graham in einem Langfilmdebut diese Kunst gelingt, uns etwas über das zutiefst widersprüchliche Menschsein zu erzählen, ist schlicht beeindruckend.

18.02.2024

5

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Kommentare

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jennifermerlyn

vor 10 Jahren

Atemberaubend, unbeschreiblich schön. Sehr sorgsam erzählt, voller Ästhetik, die schauspielerische Leistung ist hervorragend! Einer der besten Filme, die ich in der letzten Zeit gesehen habe!


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