Gloria Chile, Spanien 2012 – 104min.

Filmkritik

Das Stehauffräulein

David Siems
Filmkritik: David Siems

Echtes Film-Highlight aus Chile: Gloria erzählt die Geschichte einer 58-jährigen Frau, die trotz Wechseljahren und überwundener Scheidung das Leben in vollen Zügen genießen will. Wären da nicht unzählige Hindernisse, die sich immer wieder vor ihr auftun. Hauptdarstellerin Paulina García wurde auf der diesjährigen Berlinale als beste Darstellerin mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet.

Es ist die Geschichte einer Frau, die wir als Hauptfigur erleben, aber immer wieder zur Randfigur wird. Sie ist, auf ganz subtile Weise, der Versuch, der aktuellen chilenischen Gesellschaft ein Gesicht zu geben. Immer wieder sieht man im Film Studentengruppen, die auf die Straße gehen, um gegen Sparzwang und Bildungsnotstand zu demonstrieren. Ein paar Mal erlebt man betagte Chilenen, die mit Stirnrunzeln von ihren Eindrücken berichten, dass ihr Heimatland auch 40 Jahre nach dem Militärputsch, der Niederschlagung der sozialistischen Regierung Salvador Allendes und der anschließenden 17 Jahre Militärdiktatur immer noch tief gespalten ist.

So wie Gloria: Auf den ersten Blick, an der Oberfläche, ist die 58-Jährige eine selbstbewusste und starke Frau, die sich auf Single-Partys tummelt, hemmungslos flirtet und die Freiheit zu genießen scheint, die ihr das Leben geschenkt hat. Doch ähnlich wie ihr Heimatland ist sie tief im Inneren von der Vergangenheit gezeichnet. Die Scheidung liegt bereits zehn Jahre zurück, ihre Tochter zieht es zu einem Mann nach Europa und auch der Sohn zeigt sich eher beratungsresistent, wenn es Probleme mit dem just geborenen Enkelkind gibt.

Es ist nicht der Plot, viel mehr das genaue Beobachten und Beschreiben seiner impulsiven Hauptfigur, das Regisseur Sebastián Lelio antreibt. Gloria stürzt sich Hals über Kopf in eine Affäre mit dem sieben Jahre älteren Witwer Rodolfo (Sergio Hernández), der aber noch zwei erwachsene Kinder an der Backe hat, die nie aus Pubertät gekommen zu sein scheinen. Hinter der großen Nana-Mouskouri-Brille lässt sich anfangs nur schwer erahnen, wie es im Innenleben von Gloria aussieht, doch Sebastián Lelio gelingt fortan ein wunderbar intimes und feinfühliges Porträt einer Frau, die sich insgeheim nach Geborgenheit sehnt, aber akzeptieren muss, dass die Unbekümmertheit der Jugend längst verschwunden ist und die Umstände in ihrem Alter deutlich komplexer geworden sind.

Die Kraft der Hauptfigur reißt die Zuschauer mit, die mit dieser Frau leiden und strahlen. Oder wie es Regisseur Lelio ausgedrückt hat: "Gloria ist ein wenig wie Rocky: Die Welt scheint sich gegen sie verschworen zu haben. Doch selbst dann, wenn sie am Boden liegt, rappelt sie sich einfach wieder auf und geht erhobenen Hauptes weiter ihren Weg."

18.02.2024

4

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Kommentare

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riga80

vor 11 Jahren

Gutes Kino aus Santiago!


astrid49

vor 11 Jahren

Gute schauspielerische Leistung der Hauptdarstellerin, ansonsten hat mich der Film nicht wirklich überzeugt


caravaggio

vor 11 Jahren

eine sehr schöne sozialstudie.. fein und unspektakulär erzählt. wäre da nicht die für mich absolut "unglaubwürdigen" handlungen rodolfos und ein unbefriedigender schluss (weil er zu viel unreflektiert und unbeleuchtet belässt), wäre es ein wunderschön zartes filmportrait.. einer frau und einer betagten liebe.. im chile zwischen den zeiten. so empfinde ich viel potential unausgeschöpft und den film unausgegoren abgewürgt. schade. pluspunkte bleiben: die offene darstellung der "best-ager-sinnlichkeit" und die hauptdarstellerin paulina garcia, die den diesjährigen silbernen bären erhielt.Mehr anzeigen


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