Molière auf dem Fahrrad Frankreich 2013 – 102min.

Filmkritik

Eitler Schein und wahres Sein

Michael Lang
Filmkritik: Michael Lang

Zwei ältere Schauspielstars wollen in einem Ferienort an der Westküste Frankreichs Molières Bühnenstück "Der Menschenfeind" einstudieren. Weil aber die eitlen Mimen die Hauptrolle beanspruchen, wird das Projekt zur harten Bewährungsprobe für die eh schon komplizierte Freundschaft.

Der Bühnenstar Serge Tanner (wunderbar: Fabrice Luchini) hat sich vom Theatermetier zurückgezogen und lebt auf der Ferieninsel Ile de Ré an der französischen Westküste. Doch dann taucht Gauthier Valence (grossartig: Lambert Wilson) auf, der als Arzt in einer läppischen TV-Arztserie viel Geld scheffelt, aber wieder mal was Anspruchsvolles tun will: Mit Tanner Molières Bühnenstück "Der Menschenfeind" einstudieren. Weil aber beide Mimen die Hauptrolle des Alceste beanspruchen, wird das Projekt zur Bewährungsprobe für eine sehr komplexe Freundschaft.

Molière à bicyclette ist eine facettenreiche Tragikomödie von Philippe Le Guay, die augenzwinkernd Brücken zwischen den ethnisch-moralischen und zeitlos spannenden Ideen Molières aus dem 17. Jahrhundert bis ins High-Tech-Zeitalter im Hier und Jetzt schlägt. Ganz famos zu sehen, wenn sich dann bei den Proben der nörglerische Pessimist Tanner und der zu überheblichem Pathos neigende Gauthier fetzen, wenn beispielsweise ein Handy-Rufton zur Unzeit die Rezitation eines Alexandriner-Versmasses stört und sofort zwischenmenschliche Dissonanzen offengelegt werden. Klar, dass die artistische Feinarbeit oft nur ein raffinierter Vorwand ist, den Partner eher fies denn subtil auf frühere Verfehlungen hinzuweisen und ihm aktuelle Schwächen um die Ohren zu hauen.

Das alles wird erfrischend serviert, ist gewitzt, glaubhaft, von melancholischer Heiterkeit umflort. Und ganz dem Talent von Regiemann Le Guay geschuldet: Er kennt sich im Theater- wie im Kinomilieu aus, würzt den Hahnenkampf zweier Alphatiere mit einer slapstickartigen Rahmenhandlung mit tollkühnen Fahrradausflügen am Strand und einem Hauskauf mit Tücken. Natürlich treten auch Damen auf: ein blutjunges Porno-Starlet mit unerwartetem Flair für die seriöse Schauspielerei und eine reife, unglückliche Italienerin. Sie verdreht den älteren Herren den Kopf und hält ihnen einen Spiegel vor, in dem sie nicht ganz schmerzfrei ihre Selbstgefälligkeit, Versagensängste, Machoallüren erkennen, die sie gerne verdrängen.

Molière à bicyclette ist ein intellektuelles Vergnügen, weil Le Guay den Spagat zwischen kammerspielartigen Dialog-Szenen und einer unaufgeregten, schön bebilderten Filmsprache schafft. Wer zudem dem Spiel famoser Darsteller zugetan ist, wird vollends entzückt sein. Und so möglicherweise dieses oder jenes über eigene Verhaltens-Baustellen erfahren. Kurz gesagt: Gehobenes Unterhaltungskino mit Esprit. Ganz, ganz köstlich.

18.02.2024

4

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Kommentare

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8martin

vor 3 Jahren

Ein abgedrehter Titel für einen abgedrehten Film und eine überschaubare Zielgruppe. Der große Molière hat von Haus aus mit dem Fahrrad so viel zu tun wie Taube mit Schwerhörigkeit.
Zwei Freunde Serge (Fabrice Luchini, auch Drehbuch) und Gautier (Lambert Wilson) kennen sich von früher, haben sich aus den Augen verloren, treffen sich auf der Ile de Ré und versuchen durch Leseproben Molières Menschfeind bühnenreif zu machen. Gautier muss Serge immer wieder überreden. Die Proben sind der rote Faden des Films, ebenso wie die häufigen Fahrradtouren. (Originaltitel!) Dabei fließen die Dialoge von der latenten Animosität der beiden in der momentanen Situation in den Text von Molière über. Gautier ist ein erfolgreicher TV Star, den jeder kennt. Er prügelt sich mit dem Taxifahrer (Stéphan Wojtowicz) auf dem Marktplatz, weil der ihm Hilfe zugesagt hatte, die Freunde verlieben sich in die Maklerin Francesca (Maya Sansa) und geben dem Nachwuchssternchen Zoé (Laurie Bordesoules) Tipps für eine Filmkarriere als Pornostar. Der Kick ist, dass beide abwechselnd Alcestes Rolle übernehmen (Originaltitel). Als die Verträge unter Dach und Fach sind, kommt es auf einer Party zum Streit zwischen Serge und Gautier und damit zum endgültigen Bruch der beiden, weil Serge darauf besteht den Alceste immer zu spielen und das Wechselspiel zu beenden.
Als Finale spielt Gautier auf der Bühne den Menschfeind und hat einen Hänger, während Serge am Strand sitzt und Molière zitiert ‘Es sind die Menschen, die die wahren Wölfe sind.‘ Nette Idee, amüsant gemacht für Literaturliebhaber. Der Versuch durch das Drumherum ‘Butter bei die Fische zu bekommen‘ ist aber nur suboptimal gelungen.Mehr anzeigen


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