Tino - Frozen Angel Schweiz 2014 – 92min.
Filmkritik
Rocker, Romantiker, Revoluzzer
Er war ein Aussenseiter der bürgerlichen Gesellschaft - ein Rocker, Romantiker, ein Revoluzzer: Adrian Winkler porträtiert Matin "Tinu" Schippert, den Gründer der Schweizer "Hells Angels".
Er war schon bei der Halbstarkenbande "Rächer Basel" dabei. Der am noblen Zürichberg aufgewachsene Martin Schippert, genannt Tino, schloss sich dann den Zürcher "Rächern" an, die sich später "Lone Stars" nannten. Er wurde zu ihrem Anführer, kam mit dem Gesetz in Konflikt, verbüsste eine Haftstrafe und wurde 1968 wieder auf freien Fuss gesetzt. Er rebellierte mit Gleichgesinnten gewissermassen auf "Rockerebene" - quasi parallel zur Studentenbewegung - gegen das bürgerliche Establishment und "Bünzlitum".
Mit "heissen Öfen" und in Lederkluft zeigte man Präsenz und provozierte mit seinem Lebensstil. Das konnte auch ausarten, indem man die freie Liebe propagierte und wüste Partys zelebrierte. Man liess sich, inzwischen ab 1970 als "Hells Angel Switzerland" in den USA anerkannt, zu heiklen Filmaufnahmen verleiten. Da wurde eine Vergewaltigungsszene vorgegaukelt. Auch auf eine - im wahrsten Sinn des Wortes - unappetitliche "Schissaktion" hätte man (im Film) verzichten können.
Ironie oder Tragik der Justizgeschichte: die Rocker-Kultfigur Tino, die in den USA die Schweizer "Hells Angel"-Weihen holte, wurde für ein Vergehen (Notzucht) der "Hells Angel" verantwortlich gemacht, obwohl er ausser Landes war. Der Rocker wurde zum Feindbild und vom Staat geächtet, er war seither mehr oder weniger auf der Flucht. Seine Versuche, in Südamerika Fuss zu fassen, scheiterten. Er starb 1981 in Bolivien - fernab der Heimat, die er sehr vermisste.
Der Journalist Willi Wottreng hatte bereits 2002 eine Biografie verfasst: "Tino - König des Untergrunds". (Das Buch wird im Februar neu aufgelegt.) Der Filmer Adrian Winkler setzt dem "Easy Rider" aus Zürich ein filmisches Denkmal. Er versucht, dem "Höllenengel" mit Macken, der auch Geister wie Friedrich Dürrenmatt seinerzeit faszinierte, nahe zu kommen, aber auch die Zeitströme zu dokumentieren - mit der Rockszene, den Globus-Krawallen und der Rebellion gegen die erstarrte Gesellschaft.
Winkler vermengt Dokumentaraufnahmen, Briefe und Statements von Wegbegleitern und Partnerinnen zu einem stimmigen, von zeitgemässer Rockmusik unterlegten Zeitbild, das selbst zu einem Bildwerk gegen das Spiessertum gerät. Kein Kultfilm, aber ein spannendes Zeitbild einer Umbruchszeit mit klarer Sympathie für "gefallene Rocker-Engel".
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