Vic et Flo ont vu un ours Kanada 2013 – 95min.
Filmkritik
Gefühle und (Ge-)Fallen im Wald
Denis Côté erhielt für sein Beziehungsdrama an der Berlinale 2013 den Innovationspreis. Leider krankt sein mit einfachen Mitteln realisiertes Experiment an der Qualität der Elemente, die er kombiniert. Die in der Kanadischen Natur angesiedelte Geschichte einer temporären Liebesbeziehung zweier Frauen, eine davon bisexuell, vernachlässigt die Charakterzeichnung und schafft es deshalb nicht, Interesse oder gar Mitgefühl zu wecken. Immerhin konnte er die erfolgreiche französische Schauspielerin Romane Bohringer für sein Projekt begeistern.
Die Kamera klebt an der Unterkante eines Rollkoffers. Der Blick des Publikums aufs Geschehen ist eingesperrt. Die ca. 40-jährige Frau mit der Hand am Griff des Koffers war eingesperrt. Jetzt ist Vic auf dem Weg zu ihrem Onkel, der in seinem Waldhaus von Nachbarn gepflegt wird, da er halbseitig gelähmt ist.
Dieser von seiner Krankheit schwer gezeichnete Mann wird nicht die einzige ungewöhnliche Figur bleiben. Tatsächlich scheint Denis Côté lauter Kunstfiguren versammelt zu haben. Nicht bei allen wird das auf den ersten Blick klar, dafür ist ihre Abartigkeit umso größer. Vic platzt als Fremdkörper in das Leben der anderen und bekommt das deutlich zu spüren. Bald taucht ihre Geliebte Flo (Romane Bohringer) auf. Und ihr Bewährungshelfer. Und der Vater des jungen Mannes, der den Onkel pflegte. Und eine vermeintliche Nachbarin, die um das Wegerecht für ihre Quad-Fahrten bittet.
Nicht nur wirkt das wenige Personal artifiziell, es verhält sich auch so, und insbesondere die Interaktionen versuchen nicht lang, den Anschein eines realistischen Szenarios zu erwecken. Côté setzt aber noch eins drauf, indem er die Lebensentwürfe seiner Figuren, das Gesellschaftssystem Kanadas und die menschliche Logik voneinander und von der Realität löst. So entstehen gleichsam frei fließende Elemente, die hin und wieder aufeinander treffen und zu explosiven Entladungen führen. Eine kontinuierliche Entwicklung darf man so genauso wenig erwarten wie verständliche, vorhersagbare oder plausible Reaktionen seiner Protagonisten.
Diese unbeholfene Kombination disparater Teile mag der Berlinale-Jury derart originell erschienen sein, dass sie Côté 2013 den Alfred-Bauer-Preis verlieh, der Filme auszeichnen soll, die der Filmkunst neue Perspektiven eröffnen. Côté wurde damit sein Scheitern versüßt, dem Publikum nützt das leider nichts. Es wird den Saal mit dem unguten Gefühl verlassen, unfreiwillig an einem emotionalen Experiment teilgenommen zu haben.
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