Selma Grossbritannien, USA 2014 – 128min.

Filmkritik

Marsch gegen Rassismus

Patrick Heidmann
Filmkritik: Patrick Heidmann

Die Fallstricke des Biopic-Genres sind altbekannt, doch das heißt nicht, dass Regisseure nicht immer wieder hineinstolpern. Überfrachtung, weil man ein ganzes Leben in zwei Stunden packen will? Verklärung, weil der oder die Porträtierte mit Samthandschuhen angefasst oder gar zum Denkmal verklärt wird? Zu viel Emphase und Kitsch, weil damit vermeintlich die Chancen auf einen Oscar steigen? All dies lässt sich häufig beobachten, wenn die Biografien großer Persönlichkeiten auf die Leinwand geholt werden. Doch dass es (größtenteils) auch anders geht, zeigt nun Selma.

Protagonist des Films ist niemand anderes als Martin Luther King (David Oyelowo), und als der Film einsetzt, hat der schwarze Bürgerrechtler bereits viele seiner historischen Errungenschaften erreicht. Der Marsch auf Washington, bei dem der Pastor seine legendäre "I Have a Dream"-Rede hielt, liegt schon hinter ihm; der zumindest auf dem Papier landesweite Gleichberechtigung garantierende Civil Rights Act ist verabschiedet. Und so ist er zusammen mit seiner Frau Coretta (Carmen Ejogo) nach Norwegen gereist, um den Friedensnobelpreis anzunehmen.

Kings gewaltloser Kampf ist allerdings noch lange nicht gewonnen, schließlich ist die Rassentrennung in der Praxis der Südstaaten noch längst nicht verschwunden. King und seine Mitstreiter richten ihr Augenmerk deswegen auf das Städtchen Selma in Alabama, wo noch systematischer als sonst verhindert wird, dass Afroamerikaner sich in die Wählerlisten eintragen und damit ihre demokratischen Rechte ausüben können. Was als friedlicher Protestmarsch geplant ist, wird angesichts der gnadenlosen Reaktion von Gouverneur Wallace (Tim Roth) und seiner Truppen bald zu einem neuen Meilenstein in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung.

Regisseurin Ava DuVernay, deren erste beiden Filme mit Mini-Budget entstanden und selbst in den USA kaum gezeigt wurden, wählt für Selma einen geschickten Zugang zu Leben, Leistung und Wirkung der Ikone Martin Luther King. Sie beschränkt sich ganz auf die Ereignisse in der titelgebenden Stadt, die mit dem Voting Rights Act ein weiteres historisches Gesetz zur Folge haben. Und doch steckt in diesem Ausschnitt seiner Biografie bemerkenswert viel drin, was diesen großen Amerikaner ausmachte: sein Glaube, sein Mitgefühl und das nicht eben kleine Selbstbewusstsein, seine große, aber nicht komplett ungetrübte Liebe zu Coretta, sein Ringen mit Präsident Lyndon B. Johnson (Tom Wilkinson) und sogar die Rivalität mit dem ganz anders gesinnten Malcolm X.

Dass gerade was Johnson angeht nicht alle mit DuVernays Darstellung der historischen Ereignisse einverstanden sind, tut der Tatsache keinen Abbruch, dass Selma ein packender, aufrüttelnder Film ist, der obendrein eindringlich daran erinnert, wie kurz dieses dunkle Kapitel des amerikanischen Rassismus (das bis heute nachwirkt) erst zurückliegt. Dafür erhielt das Drama zurecht eine Nominierung für den Oscar als Bester Film.

DuVernay selbst hätte als erste nominierte schwarze Regisseurin Geschichte geschrieben, wurde letztlich allerdings übergangen. Genauso übrigens wie ihr Hauptdarsteller, was eine noch größere Enttäuschung ist. Denn David Oyelowo, seines Zeichens Brite und seiner Figur auf den ersten Blick nur bedingt ähnlich, gelingt es auf geradezu sensationelle und dabei angenehm unaufgeregte Weise, das eigentlich einzigartige Charisma Kings auf die Leinwand zu übertragen.

19.02.2024

5

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Kommentare

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Patrick

vor 9 Jahren

Grossartiges Biopic über Martin Luther King, das auch einen starken Soundtrack hat deswegen zurecht den Oscar(Common, John Legend) für den Besten Filmsong Glory. Selma hätte schon vor fast 10 Jahre in den Kinos anlaufen sollen, aber es gab immer einen Filmemacher Wechsel(u. a. Spike Lee) bis Ava DuVernay kam, und ihre Version kommt als Gandhi und als Mandela-Der Lange Weg Filmmix daher.Mehr anzeigen


Ortygiano

vor 9 Jahren

Spannende, traurige und bewegende Geschichte. Die Amerikaner lieben es zu zelebrieren, wie sie (auch untereinander) in der Weltgeschichte gelitten und gekämpft haben. Leider bleibt der Film zu oberflächlich und scheitert am Versuch, Tiefe, Menschlichkeit und geschichtliche Fakten miteinander zu verbinden.Mehr anzeigen


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