Von Caligari zu Hitler Deutschland 2014 – 119min.
Filmkritik
Nahm das Kino vorweg, was kommen sollte?
Rüdiger Suchsland liebt die Zeit, vor allem aber auch die Filme der Weimarer Republik. Ein modernes Deutschland, das nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs voller Elan in die Demokratie startet, dessen Ende aber schon zu Anfang implementiert ist. In der Retrospektive lässt sich das deutsche Kino jener Zeit gänzlich anders einordnen. Das geschah schon in Siegfried Kracauers bereits 1947 publiziertem Standardwerk "Von Caligari zu Hitler", das den Regisseur so beeindruckt hat, dass er dessen Thesen mit den Mitteln der Dokumentation untersucht.
Im Rückblick scheint es leicht zu sein, in den großen Werken jener Zeit eine Warnung vor dem zu sehen, was kommen sollte. Es ist ein Kino der Manipulatoren, der Verführer, der Schurken, die mit Charisma und Macht die Massen an sich binden. Ein Kino, das von einer Mob-Mentalität zeugt, in dem Menschen sich zusammenrotten und drohen, die eigene Menschlichkeit zu verlieren. Eines, das die Gier des Menschen in den Mittelpunkt rückt und in einem Taumel gerät, dem letztlich alles zum Opfer fällt.
Aber dieser Blick erlaubt sich nur aus der Retrospektive. Es ist eine interessante These, aber eine, die weder Suchsland selbst noch die deutschen und ausländischen Filmhistoriker, die hier zu Wort kommen, wirklich untermauern können. Weil Suchsland bisweilen etwas zu sehr in Filme hineindeutet, die seinerzeit wohl einzig und allein Unterhaltungsanspruch hatten. Allerdings schafft er es auch, wiederkehrende Themen und Bilder zu präsentieren, die vor allem dem deutschen Kino jener Zeit zu eigen waren.
Weit interessanter an Von Caligari zu Hitler: Das deutsche Kino im Zeitalter der Massen ist der Abriss deutscher Filmgeschichte, bei der nicht nur die Karrieren großer, aber auch heute eher unbekannter Regisseure kurz nachgezeichnet werden, sondern ihre Werke in den Vordergrund rücken. Die Vielseitigkeit des Kinos der Jahre 1919 bis 1933 wird hier gezeigt, unterstützt von zahlreichen Ausschnitten, aber auch von Bildern des damaligen Deutschlands, die mehr noch als die Filme zeigen, in welche Richtung sich die Gesellschaft entwickelte – von einer freiheitlichen, modernen hin zu einer repressiven, die die Zucht und Ordnung des einst verhassten Preußens zum neuen Ideal romantisierte.
Suchslands Film ist ein kompakter, faszinierender Überblick über das expressionistische, aber auch realistische Kino jener Jahre. Er setzt Akzente und nähert sich dem Aufstieg des Nationalsozialismus auf kulturgeschichtlicher Basis, ohne dabei zu vergessen, das deutsche Wesen in diesen Zwischenjahren – die kurze Phase der Demokratie zwischen Kaiserzeit und Diktatur – als Faktor für den kommenden Weltenbrand einzubeziehen.
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