Journal d'une femme de chambre Belgien, Frankreich 2015 – 96min.
Filmkritik
Emanzipation mit Kompromissen
Benoît Jacquot verfilmt abermals das Schicksal einer Frau auf der Flucht. Der Klassiker von Octave Mirbeau inspirierte bereits Jean Renoir und Luis Buñuel zu Porträts der französischen Gesellschaft. Jacquot taucht das harte Schicksal der Dienerin Céléstine in ein anekdotisches Kaleidoskop voll wundersamen Licht, aparten Kostümen und grotesken Charakteren.
Wir erfahren nicht viel über Céléstine (Léa Seydoux). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts arbeitet die attraktive junge Frau als Kammerzofe in diversen Haushalten. Immer wieder findet sie Anstosspunkte, um die Herrschaften zu wechseln. Denn eigentlich will sie selber Arbeitgeber sein und nicht mehr für andere die Böden schrubben oder Nachttöpfe reinigen. Doch das ist in ihrem Stand im Frankreich dieser Zeit so gut wie aussichtslos. Entweder Kammerzofe oder Prostituierte. Die Übergänge dabei sind jedoch oft fliessend.
Benoit Jacquot hat bereits so einige Filme mit schönen Frauen gedreht (Isabelle Huppert, Isabelle Adjani, Sandrine Kiberlain). Immer wieder sind seine Protagonistinnen in seinen Werken auf der Flucht. So auch Céléstine, die stets vom Schlimmen ins Schlimmere springt. Jeder ihrer Arbeitgeber hat so seine Besonderheit: Krankheit, Herrschsucht, besondere sexuelle Vorlieben. Erst in der Provence findet Céléstine im Gärtner Joseph (Vincent Lindon) einen Retter, wenn auch einen sehr dubiosen. Er wird als Grobian, Antisemit dargestellt und ausserdem des Kindsmordes verdächtigt.
Warum verfilmt man heute diesen Klassiker der französischen Literatur? Etwas vergeblich sucht man in Le Journal d'une femme de chambre das Heute im Gestern. Ganz in seiner Zeit situiert, überlässt es der Film dem Zuschauer, Verbindungen zu aktuellen Phänomen wie sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen oder Rassismus herzustellen. Dennoch ist Le Journal d'une femme de chambre keine historische Kostümschnulze. Mit leicht übersehbaren Details löst Benoit Jacquot sein Sujet aus seiner Zeit: den Kleidern Céléstines sieht man die Extravaganz ihrer Trägerin an, die Jacquot immer wieder in ein anderes eindringliches Licht taucht. Auch bewegt sich Céléstine nicht wie zu Zeiten üblich. Wiederholt deuten ihre Gesten und Attitüden darauf hin, dass hier noch eine andere Zeit mit im Spiel ist.
So reihen sich mit den verschiedenen Arbeitgebern Céléstines im Laufe des Films diverse Einblicke in die Gesellschaft des 20. Jahrhunderts aneinander. Anekdotisch, fast willkürlich springen wir in Zeit und Raum hin und her, wenn sich Céléstine an ihr Leben erinnert. Am Ende ergibt Le Journal d'une femme de chambre ein dunkles und sarkastisches Bild des Endes des 19. Jahrhunderts voller absurder und exzentrischer Charaktere, die das Jahrhundert der Weltkriege einläuten.
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