Aloys Schweiz 2016 – 90min.
Filmkritik
Die Geister, die ich rief
Ein Krimi ist immer nur so gut wie sein Ermittler. Aber was passiert, wenn man den Kriminalfall weglässt und nur vom Detektiv erzählt? Die Schweizer Produktion Aloys hat dies gewagt und lässt Georg Friedrich als verklemmten Philip Marlowe der Unterschicht, der selbst in die Mechanismen der Überwachung gerät, brillieren.
Aloys Adorn ist allein. Sein Vater ist gerade gestorben. Sowohl in der gemeinsamen Wohnung, als auch in der gemeinsamen Privatdetektei muss er nun alleine den Alltag bewältigen. Pflichtbewusst führt Aloys weiterhin Observationen durch und hält alle Nichtigkeiten mit seiner Videokamera fest. Abends schaut er sich dann die Videos an. Allein. Eines Tages schläft er betrunken im Bus ein. Als er erwacht, ist seine Tasche mit der Kamera und all seinen Aufzeichnungen geklaut. Fortan bekommt er anonyme Anrufe und plötzlich ist er derjenige, der beobachtet wird. Und je mehr er mit der unbekannten Person am anderen Ende der Leitung spricht, desto mehr Risse bekommt die Realität.
Mit Aloys präsentiert der Schweizer Regisseur Tobias Nölle seinen ersten Langfilm. Und am Anfang dominieren die Zweifel. Aloys Adorn sieht aus wie ein Spannerklischee aus einem 1970er-Jahre-Sketch: hässlicher Parka, schlecht sitzende Bundfaltenhose, blauer Strickpulli und ein hochgeschlossenes Hemd, bei dem man den Kragenspeck förmlich riechen kann. Dazu noch heimlicher Trinker, sozial nicht geschmeidig und wortkarger Einzelgänger – nein, solche Figuren sind eigentlich nur noch Karikaturen. Und überhaupt: Privatdetektiv. In den Zeiten von winzigen Digitalkameras, GPS-Signalen und Handyortung ist so etwas doch mittlerweile obsolet.
Aber es ist eine falsche Fährte, die Nölle hier auslegt, denn schon nach kurzer Zeit bekommt er die Kurve und kippt den Film aus der Tristesse des scheinbaren Realismus in die Welt der Imagination. Glücklicherweise vollzieht sich hier der Eskapismus unter umgekehrten Vorzeichen und Aloys träumt sich nicht auf eine einsame Insel fort, sondern die Gesellschaft in sein miefiges Wohnzimmer, in dem die Vorhänge nach Tischgrill riechen.
Im Laufe des Films verwebt Nölle die Wirklichkeitsebenen immer stärker miteinander und je präsenter das Wunschdenken wird, desto tragischer erscheint die Realität. Aber weil das ganze Geschehen von einem skurrilen Humor durchzogen ist und immer wieder kleine Momente der Irritation auftauchen, ist Aloys weit davon entfernt, einen mitleidigen Blick auf seinen Protagonisten zu werfen. Vielmehr ist es die Geschichte von zwei Menschen, die sich aus ihrer Einsamkeit heraus begegnen und versuchen, an einem anderen Ort als der Realität ihr Glück zu finden. Und so ist Aloys ein vielschichtiges und vielversprechendes Debüt, dass sowohl inhaltlich als auch formal zu überraschen und zu irritieren weiß.
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Kommentare
Starker Film mit faszinierender Bildsprache. Absolut lohnenswert.
Leider viel zu langatmige Szenen. Das Ende des Films war eine Erlösung.
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