Graduation Belgien, Frankreich, Rumänien 2016 – 127min.
Filmkritik
Bacalaureat
Kaum eine europäische Kinonation (außer vielleicht den Griechen) hat in den vergangenen zehn Jahren einen derartigen Boom unter Cineasten und Fans des anspruchsvollen Films erlebt wie Rumänien. Die Liste der Regisseure, die längst zur obersten Liga des Weltkinos gehören, reicht von Calin Peter Netzer, der vor drei Jahren mit Mutter und Sohn die Berlinale gewann, bis hin zu Corneliu Porumboiu, der 2006 in Cannes die Caméra d’Or mit nach Hause nehmen durfte. In diesem Jahr waren an der Croisette sogar gleich zwei Rumänen im Wettbewerb vertreten: Cristi Puiu sowie Cristian Mungiu, der am Ende für Baccalaureat mit dem Regie-Preis ausgezeichnet wurde.
Im Zentrum von Mungius viertem Spielfilm steht Romeo (sehenswert: Adrian Titieni), ein Arzt in den besten Jahren, der mit seiner Ehefrau und der fast erwachsenen Tochter Eliza (Maria Dragus aus Das weisse Band) ein einigermaßen bescheidenes, aber zumindest nach außen doch recht erfolgreiches Leben samt Krankenhaus-Stelle und Plattenbauwohnung führt. Doch innerhalb kürzester Zeit bekommt die vermeintlich unproblematische Fassade Risse, und das nicht nur weil Romeo eine Affäre mit einer allein erziehenden Mutter hat. Nachdem Eliza auf dem Schulweg von einem Sexualstraftäter angegriffen wird und um ihre Noten bei der unmittelbar bevorstehenden Abschlussprüfung fürchtet, lässt ihr Vater sich auf windige Deals ein, um doch noch die Zukunft seiner Tochter an einer britischen Elite-Uni zu gewährleisten. Doch auch die gute Absicht macht die Korruption nicht besser – und zieht zwangsläufig eine ganze Lawine von Konsequenzen nach sich.
Wie schon in seinen früheren Filmen 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage (mit dessen Gewinn der Goldenen Palme 2007 in Cannes sich der Boom des rumänischen Kinos endgültig manifestierte) und Jenseits der Hügel setzt Mungiu auch dieses Mal wieder auf Realismus, Subtilität und eine bewusst nüchterne Erzählhaltung. Dass Baccalaureat dabei nicht ganz an die Stärke und nachhaltige Wucht der beiden Vorgänger heranreicht, liegt lediglich daran, dass man dieses Mal etwas deutlicher die eingreifende Hand des Drehbuchautors (Mungiu selbst) spürt, die seine Geschichte hier und da wie eine Versuchsanordnung wirken lässt, deren Rädchen allzu nahtlos ineinander greifen.
Wirklich im Weg stehen tut das dem Film allerdings nicht, weil Mungiu auf inszenatorischer Ebene mit unglaublicher Präzision vorgeht. Vor allem aber überzeugt Baccalaureat thematisch, als komplexe Studie über Moral, Loyalität und die Unmöglichkeit, sich richtig zu verhalten in Zeiten allgegenwärtiger Korruption – und als Blick auf eine dysfunktionale Gesellschaft, die noch immer unter den tiefsitzenden Mechanismen der einstigen Diktatur zu leiden hat.
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