Loving Vincent Frankreich, Polen, Grossbritannien 2016 – 95min.
Filmkritik
Ein cineastisches Gesamtkunstwerk
Eine ominöse Geschichte um einen Virtuosen, 125 Maler und 65.000 Bilder: Das sind die beeindruckenden Eckdaten von Loving Vincent, einem animierten Gesamtkunstwerk aus Schauspiel und magischer Malerei.
Es ist ein ambitioniertes Projekt, welches das Regieduo Dorota Kobiela und Hugh Welchman vor über 6 Jahren in Angriff nahm: Ein Portrait über einen der berühmtesten Maler der Welt. Doch nicht etwa im Dokumentarstil oder als Spielfilm – die Ansprüche der zwei lagen weitaus höher: Zuerst mit Schauspielern verfilmt, wurden die damit eingefangenen Sequenzen dann von 125 Malern in mühevoller Kleinstarbeit mit 12 Gemälden pro Sekunde auf die (Öl)-Leinwand gebracht. Die Mischung aus Kunst und Schauspielerei ergibt einen kunstvollen Animationsfilm, wie man ihn so wohl noch nie zu sehen bekam: Im Stil des holländischen Malers taucht der Zuschauer im Rahmen einer klassischen Detektivstory in das Leben des ominösen Virtuosen ein.
Die Geschichte beginnt ein Jahr nach dem Tod Vincent Van Goghs: Armand Roulin (Douglas Booth) soll im Auftrag seines Vaters Vincents Bruder Theo einen letzten Brief des Verstorbenen zustellen – dieser ist inzwischen jedoch an Syphilis gestorben. Auf der Suche nach weiteren Bekannten oder Verwandten, erfährt Armand in Auvers-sur-Oise, der französischen Wahlheimat des Malers, von seinem behandelnden Arzt Dr. Gachet (Jerome Flynn, bekannt aus Game of Thrones), der selbst eine Ader für Kunst hat und Van Gogh sehr nahestand. Als jedoch nur dessen Tochter Marguerite (Saoirse Ronan) aufzufinden ist und auf seine Nachforschungen verdächtig reagiert, mietet sich der Aussenstehende kurzerhand in das Zimmer in der Pension ein, in dem der Maler zuletzt gelebt hatte. Mithilfe der Erzählungen der Wirtin Adeline Ravoux (Eleanor Tomlinson) begibt sich der Amateur-Detektiv auf Spurensuche – denn die Tatwaffe, mit der sich Vincent Van Gogh in den Bauch geschossen haben soll, wurde nie gefunden. War der Selbstmord letzten Endes gar nicht selbstverschuldet?
Die Handlung ist eine relativ einfache aber fesselnde Whodunit-Geschichte, die mit Briefen Vincent Van Goghs und ungeklärten Sachverhalten oder fehlenden Indizien aufgezogen wird, jedoch keine endgültige Klärung der Todesursache des berühmten Künstlers liefert. Da diese sowieso bis heute umstritten ist, tut das dem Film absolut keinen Abbruch – das Hauptaugenmerk liegt dann auch ganz woanders: Auf der Lebenswelt Vincent Van Goghs, die mithilfe von kunstvoll aneinandergereihten Ölbildern – darunter rund 60 seiner eigenen Werke – zum Leben erweckt wird. In seinem so typischen Stil mit kräftigen Farben, Licht- und Schattenwürfen und impressionistischen Landschaften erhält der Zuschauer einen Einblick in das Leben des in den Wahnsinn getriebenen Künstlers, der zu Lebzeiten nach Anerkennung und Zugehörigkeit zu lechzen schien. Das ist auf weite Strecken anspruchsvoll – simpel gehaltene, schwarz-weisse Rückblenden bieten dazu eine erfrischende Abwechslung. Nichtsdestotrotz sind die 94 Minuten doch eher kurzweilig – wohl auch, weil Loving Vincent eine liebevolle, kreative und so noch nie dagewesene Hommage an die Kunst ist, für die sich ein Kinobesuch absolut lohnt: Auf der grossen Leinwand kommt die Verschmelzung aus Schauspielkunst und magischer Malerei nämlich umso besser zur Geltung.
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Kommentare
Es ist zweifellos eine einzigartige, wunderschöne Bio-Pic. Co-Regisseur Welchman (Oxon.) hat gut recherchiert, sodass wir einen Einblick in die letzten Jahre des Maler-Genies bekommen und zugleich mitten in die tragische Problematik seines Lebens geführt werden. Ausgehend von Portraits, die in gekonnter Art und Weise animationsmäßig in Bewegung gesetzt werden, entsteht ein Plot, der stets mit der bekannten Realität in Kontakt bleibt. Situationen aus dem persönlichen Umfeld von van Gogh könnten sich durchaus so oder so ähnlich zugetragen haben. Echte Über- oder Untertreibungen sind mir dabei nicht aufgefallen. Die biometrischen Daten von namhaften Schauspielern wie z.B. Saoirse Ronan, Helen McCrory oder Aidan Turner und Eleanor Tomlinson haben Verwendung gefunden und wurden im Malstil van Goghs umgesetzt.
Den Leitfaden liefert Armand, der Sohn des Postmeisters Roulin, der nach Vincents Tod seinem Bruder Theo einen Brief zustellen soll. Weil der aber inzwischen auch nicht mehr lebt, ist Armand gezwungen, alle möglichen Kontaktpersonen aufzusuchen. Bei seinen Nachforschungen geht es auch um die näheren Umstände von Vincents Tod: Selbstmord oder ein makabrer Scherz seiner Saufkumpane oder etwa Tod aus Versehen? Der großartige Song von Don McLean ‘Starry, starry Night‘ der am Ende erklingt, gibt eine wunderschöne, lyrische Antwort. (Leider singt Don nicht selbst, sondern Lianne La Halvas ?!). ‘Vincent, du hast dir das Leben genommen, so wie es Verliebte oftmals tun. Aber ich hätte dir schon sagen können, Vincent, diese Welt war nichts für jemanden, der so wunderbar war wie du.‘
Der Film ist ein Erlebnis. Pinselstriche werden lebendig und verdeutlichen die sich ständig verändernden Farbnuancen. Hier wird Kunst im wahrsten Sinne des Wortes lebendig. Die mitunter etwas niederwertige Spannung wird durch den Zauber der in Bewegung gesetzten Bilder van Goghs mehr als wettgemacht. So entsteht ein Sog, der weit über die Grenzen eines statischen Gemäldes hinausgeht. Zu den vielen Preisen würde ein Oscar gut passen.… Mehr anzeigen
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