CH.FILM

Staatenlos Deutschland, Schweiz 2016 – 96min.

Filmkritik

Ein Leben ohne Heimat

Björn Schneider
Filmkritik: Björn Schneider

Erich Schmid erzählt in seiner aufwendigen, beachtlichen Doku Staatenlos vom ereignisreichen Leben des Fotografen Klaus Rózsa. Dieser dokumentierte Anfang der 80er-Jahre die Zürcher Jugendproteste. Der Zuschauer erfährt zweierlei: zum einen die tragische Familiengeschichte Rószas. Aber auch, wie es zu den schlimmsten Jugendkrawallen kam, die die Schweiz bis heute erlebt hat.

Klaus Rózsa lebte lange staatenlos in der Schweiz. Immer wieder wurden seine Einbürgerungsversuche aus politischen Gründen abgelehnt. Der Fotograf war mit seiner Kamera hautnah dabei, als die Zürcher Jugendunruhen für Schlagzeilen sorgten. Seine Bilder gingen um die Welt. Auch, weil er das rigorose und brutale Vorgehen des Staatsapparats festhielt. Staatenlos porträtiert den ehemaligen Polit-Aktivisten und wirft einen Blick zurück auf die Jahre der Gewalt.

1980 wurde von der Politik die Renovierung des Zürcher Opernhauses beschlossen. Gleichzeitig aber schloss man das Autonome Jugendzentrum. Die Folge waren mit die schlimmsten Unruhen zwischen Bürgern und Polizei, die die Schweiz bis heute erlebt hat. Jene Ereignisse beleuchtet Regisseur Erich Schmid (Meier 19) in seinem Film. Und: er verknüpft sie mit der Biographie Rózsas, dessen Leben untrennbar mit den "Opernhauskrawallen" verbunden ist.

Staatenlos ist das berührende, hintergründige Porträt eines Mannes sowie der frühen 80er-Jahre in Zürich. Eine Zeit, in der die Schweiz nicht mehr weit vom unterdrückenden Polizeistaat entfernt war. Das legen nicht zuletzt auch die Super-8-Archivaufnahmen nahe. Es sind Aufnahmen der brutalen Zusammenstöße zwischen der Polizei und der Bevölkerung. Akribisch genau und detailliert, fängt der Film so die Stimmung jener Zeit ein. Hinzu kommen nachgestellte Szenen und jene beklemmenden Zeitdokumente, die mehr sagen als tausend Worte: die bedrückenden Bilder von Klaus Rózsa. Diese waren letztlich dafür verantwortlich, dass man dem Fotografen mehrmals die Schweizer Staatsbürgerschaft verwehrte. Mit seinem langjährigen Freund, Regisseur Schmid, begab er sich für den Film auch zu den zentralen Orten von damals.

Aber Staatenlos ist letztlich mehr als die informative Chronik der "Opernhauskrawalle". Auf persönliche, aber nie zu sentimentale Weise wird hier auch ein Mann porträtiert, der Zeit seines Lebens mit Tod und Identitätssuche konfrontiert war. Ein Heimatloser auf Lebenszeit. So schildern Rózsa und seine Schwester die tragische Familiengeschichte und berichten u.a. von der Flucht aus Ungarn 1956. Eine der bewegendsten Szenen zeigt nicht Klaus Rósza, sondern seinen Vater. In einem Interview, vermutlich aus den 70er-Jahren, berichtet er von Auschwitz. Man sieht einen verzweifelten, zusammengekauerten Mann mit Tränen in den Augen. Mit leiser und zittriger Stimme erzählt er, dass nahezu die komplette Familie Rósza den Gaskammern zum Opfer fiel.

10.04.2024

5

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Kommentare

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nicole_ittig

vor 7 Jahren

Der Film ist absolut sehenswert! Ein Stück Schweizer Geschichte interessant, anspruchsvoll und gleichzeitig schockierend.


JeannetteG

vor 7 Jahren

Sehr bewegender, toller Film. Unglaublich gut und aufwändig recherchiert. Wichtig finde ich auch, dass die tragische Familiengeschichte erzählt und das Interview mit Vater Rózsa gezeigt wird. Niemals vergessen!!
Der Film ist absolut sehenswert.


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