The Wolfpack USA 2015 – 89min.
Filmkritik
Abgeschottet, aber nicht abgemeldet
Geschichten, die das Leben schreibt: 14 Jahre waren sie quasi abgeschottet, lebten isoliert mit ihren Eltern in einer New Yorker Sozialwohnung, sechs Brüder und eine Schwester. Jetzt erkundet das Rudel junger Männer um die 20 Jahre Manhattan und die Welt. Die Filmerin Crystal Moselle ist ihnen begegnet und hat ihre Familiengeschichte dokumentiert. Ein einmaliges, unerhörtes Porträt.
Nein, dies ist keine Kriminalgeschichte, kein Fall von Misshandlung und Freiheitsberaubung. Diese Teenager, jetzt um die 20 Jahre alt, haben 14 Jahre isoliert in einer New Yorker Sozialwohnung gelebt, gelernt, gespielt. Die Eltern – der Vater Oscar, ein Peruaner, und die Mutter Susanne, ein Hippiemädchen aus dem Mittleren Westen – erlebten 1996 in der Bronx einen Schusswechsel vor ihrer Haustür. Der Vater beschloss aus (übersteigerter?) Fürsorge und Angst vor Gewalt draussen «Stubenarrest» für die Familie – auf unbestimmte Zeit. Die Kinder – sechs Brüder und eine behinderte Schwester – sollten die Wohnung nicht verlassen. Unterrichtet wurden sie von der Mutter. Und da sie die Welt draussen nicht erfahren konnten, schufen sie ihre eigene Welt – made in Hollywood. Sie sahen unendlich viele Filme, spielten Szenen nach. Am liebsten Filme von Quentin Tarantino, Horrorfilme oder Batman. Erst im Januar 2010 durchbricht Mukunda Angulo, hinter einer Michael-Meyers-Maske verborgen, die Regel und verlässt die Wohnung allein – im Alter von 15 Jahren. Mukunda ist der heimliche Anführer seiner Brüder. Er will Autor und Regisseur werden. Bhagavan (heute 23), der älteste Angulo-Sohn des Angulo-Clan, seine Zwillingsbrüder Govinda (22) und Narayana, Krsna (18) und der Jüngste, Jagadisa (16), sind besessen von der Filmwelt, spielten Szenen aus Filmen wie Batman oder Pulp Fiction nach. Sie lernten Dialoge auswendig, schneiderten sich Kleider, kreierten Masken. Das Brüder-Sextett hat eine Schwester Visnu, die älteste, sie ist geistig behindert und ist nur kurz im Film zu sehen.
Die Filmerin Crystal Moselle lebt in New York und ist zufällig der Angulo-«Gang» in Manhattan begegnet. Sie hat ihr Vertrauen gewonnen, auch das der Eltern. «Die Eltern standen dem Gedanken, ihr Familienleben zu dokumentieren, sehr offen gegenüber», berichtet Crystal Moselle. «Ich glaube, sie sahen darin eine Chance für ihre Kinder.» Sie hat die Jungs vier Jahre begleitet und Material aus dem Archiv der Angulos eingebaut. Das einzigartige Dokument einer Familiengeschichte beschreibt eine gewaltlose «Befreiung» und einen Aufbruch. Die Sechserbande zieht als «Wolfsrudel» durch Manhattan und hält wie Pech und Schwefel zusammen (zumindest im Film). Aber auch die Mutter, die wesentlich das Familienleben getragen und gesichert hat, wirkt befreit. Ihre Söhne scheinen gut erzogen, stabil und lebenstüchtig. Gleichwohl hätte man gern etwas mehr im Film aus dem komplizierten Familienmikrokosmos vor dem Auf- und Ausbruch, von den Konflikten, Reibungen und Gefährdungen erfahren. Moselles packender Dokumentarfilm The Wolfpack gewann am Sundance Filmfestival 2015 den Grand Jury Prize.
Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.
Login & Registrierung