Chris The Swiss Schweiz 2018 – 90min.
Filmkritik
Im Zug in den Krieg
Anfang der 1990er-Jahre wird im Zentrum von Europa ein grausamer Krieg geführt. Mittendrin der Schweizer Journalist Christian Würtenberg. Von dessen Tod an der Front erzählt seine Cousine Anja Kofmel im gleichsam faszinierenden wie verstörenden Dokumentarfilm Chris the Swiss.
Es hört sich leicht absurd an. Doch 1991 konnte man in der friedlichen Schweiz in den Zug einstiegen und direkt in den Krieg fahren. Auf diese gefährliche Reise machte sich im Herbst 1991 der Journalist Christian Würtenberg, der anschliessend aus Zagreb für diverse Medien über den Kroatienkrieg berichtete. Doch dann trifft Würtenberg eine fatale Entscheidung. Er schliesst sich der paramilitärischen Gruppe First Platoon of International Volunteers an. Am 7. Januar 1992 wird sein Leichnam in der Nähe von Vukovar gefunden. Gemäss Autopsiebericht wurde er erwürgt.
Der Tod des jungen Schweizers hatte direkte Auswirkungen auf das Leben eines Mädchens in der Schweiz. Seine Cousine Anja Kofmel war 10 Jahre alt, als sie von Würtenbergs Tod erfuhr. 2009 verarbeitete sie das Trauma zum Abschluss ihres Studiums an der Hochschule Luzern im animierten Kurzfilm «Chrigi». Knapp zehn Jahre später erzählt sie nun in ihrem Dokumentarfilm Chris the Swiss, wie der Tod ihres Cousins sie in Albträumen verfolgte. Wie in «Chrigi» hat Kofmel diese Erinnerungen als animierte Szenen verarbeitet. In schwarzweissen Zeichnungen mit klaren Strichen irrt ein Mädchen durch ein Maisfeld, will ihrem Cousin eine Zeichnung schenken. Doch der wird von Heuschrecken-artigen Wesen verfolgt, und das Mädchen taucht tiefer in schreckliche Welten ein.
Der autobiografische animierte Dokumentarfilm erlebte mit Persepolis (2007) und Waltz with Bashir (2008) seinen Höhepunkt. Für Chris the Swiss wählte Regisseurin Kofmel einen leicht anderen Ansatz. Ihr Dokumentarfilm ist ein Hybrid, in dem sie die animierten Sequenzen mit teilweise schockierendem Archivmaterial und Interviewsequenzen mischt, die sie auf einer Reise auf den Spuren von Würtenberg zwischen der Schweiz und Kroatien gesammelt hat. Kofmel redet mit den Eltern und dem Bruder von Würtenberg und mit Weggefährten aus Zagreb, die schonungslos über ihre Eindrücke sprechen. Besonders emotional wird dabei der Bruder von Würtenberg. Den Rest muss sich Kofmel vorstellen. Sie illustriert in prägnanten Bildern die Einträge aus den Notizbüchern des Kriegsreporters auf Abwegen.
Entstanden ist ein einzigartiges Dokument über den Wahnsinn des Kriegs. Gleichzeitig ist der Film eine berührende Sinnsuche. Selten ist ein Dokumentarfilm nämlich so persönlich wie Chris the Swiss. Kofmel ist nicht nur die Filmemacherin, sie ist auch die junge Frau vor der Kamera, die verstehen möchte, wie sich ihr Cousin auf ein solches Himmelfahrtskommando einlassen konnte.
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Kommentare
So bedrückend das Thema, so wenig Recherche um den Mord aufzudecken... Berückend die Animationen, einfach, stark, multiperspektivisch. Vergleichbar 'Walz with Bashir' zeigen gezeichnete Bilder mehr und grauenvolleres als Dokumentaraufnahmen...
Bester Film den ich in Solothurn an den Filmtagen gesehen habe. Damals war noch nicht klar, ob der Film die politische Hürde nimmt und auch öffentlich im normalen Kinoprogramm gezeigt werden darf. Der Film ist hoch brisant. Söldner aus Frankreich, UK ziehen auch heute von Krieg zu Krieg. Säuberungsaktionen (Umsiedlungsprogramme) sind mitunter die übelsten Dinge, welche auch jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, in Syrien (Jesiden, Kurden), Irak (Kurden), Kongo geschehen. Auch wir Schweizer sind involviert! Blackwater (grosses "private" UK-Söldner-Unternehmen) und andere Söldnerfirmen hatten/haben ihren Firmensitz in Basel! Titel aus dem Tagesanzeiger 2010 "Das britische Militärunternehmen Aegis Defence Services hat Basel als Holding-Standort ausgesucht. Militärexperte Albert Stahel kennt den Hintergrund."… Mehr anzeigen
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