Detroit USA 2017 – 143min.

Filmkritik

Außer Kontrolle

Christopher  Diekhaus
Filmkritik: Christopher Diekhaus

Im Sommer 1967 erschütterte ein Bürgeraufstand die nordamerikanische Großstadt Detroit, der 43 Todesopfer forderte und ganze Straßenzüge verwüstet hinterließ. In den Wirren der Unruhen kam es im Algiers Motel zu einem verheerenden Polizeieinsatz, den Kathryn Bigelow in ihrer neuen Regiearbeit als nervenaufreibendes Kammerspiel inszeniert. Obwohl der Film fünfzig Jahre zurückliegende Ereignisse rekonstruiert, drängt sich am Ende der Eindruck auf, dass die Gräben zwischen Schwarz und Weiß seit damals nur unwesentlich kleiner geworden sind.

Nach ihrem kontrovers diskutierten Actionthriller Zero Dark Thirty, der die Suche nach Osama bin Laden skizzierte, wagt sich die Oscar-Preisträgerin Bigelow (ausgezeichnet für das Irakkriegsdrama Tödliches Kommando – The Hurt Locker) abermals an einen politisch brisanten Stoff. Ganz zu Anfang bringt die Filmemacherin mithilfe animierter Gemälde des afroamerikanischen Künstlers Jacob Lawrence die Ausgrenzung und Unterdrückung auf den Punkt, die schwarze Menschen in den USA während der Migration vom Süden in den Norden ertragen müssen. Armut und Ghettoisierung lassen ein Gefühl der Frustration entstehen, das – so formuliert es der Film – irgendwann zu einem Befreiungsschlag führen muss.

Im Anschluss schleudert die Regisseurin ihr Publikum direkt in das auslösende Ereignis der Detroit-Unruhen von 1967. Bei einer Razzia in einer Bar ohne Ausschanklizenz trifft die Polizei überraschend auf eine Gruppe Afroamerikaner, die die Rückkehr zweier Vietnamkriegsveteranen feiern. Im Zuge der Durchsuchung versammelt sich vor der Kneipe eine wütende Menschenmenge, deren Proteste schon bald gewaltsame Ausmaße erreichen. Fensterscheiben werden eingeworfen, Läden geplündert, Häuser in Brand gesteckt und militärische Kräfte zusammengezogen.

Die von Barry Ackroyd geführte Kamera fängt die chaotischen Zustände mit ihren Zooms und ihren ständig wechselnden Blickwinkeln treffend ein und konzentriert sich erst mit einiger Verzögerung auf die Figuren, die im schweißtreibenden zweiten Akt Teil des sogenannten Algiers Motel Incident werden. In der Unterkunft geraten eine Reihe schwarzer Männer, darunter der Sänger Larry Reed (Algee Smith), und zwei junge weiße Frauen nach Schüssen aus einer harmlosen Startpistole ins Visier hellhäutiger Polizisten, die einen Sniper-Angriff vermuten und ein sadistisch-tödliches Verhörspiel lostreten. Während Bigelow die Konfrontation mit ihrer unerbittlich-direkten Inszenierung stetig anpeitscht, treten ein tief verwurzelter Rassismus und ein falsch verstandener Gruppenzusammenhalt an die Oberfläche. Etwas überzeichnet wirkt der fiktive Streifenbeamte Krauss (Will Poulter), dessen Hass auf Schwarze keine Grenzen kennt, was ihn – anders als seine ambivalenten Mitstreiter – zu einem eher schlichten Thriller-Bösewicht macht.

Fraglich ist, warum keiner der Hotelinsassen auf die Idee kommt, die harmlose Startpistole zu erwähnen und damit zumindest den Versuch zu unternehmen, das Heckenschützen-Missverständnis aufzuklären. Trotz dieses Drehbuchdefizits und eines Schlussdrittels, das noch umfassender hätte ausfallen dürfen, ist Bigelows Aufarbeitung sehenswert und wichtig. Allein, weil die damaligen Eskalationen angesichts der Geschehnisse in Ferguson, Charlottesville und anderswo noch immer aktuell sind.

03.04.2024

4

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Kommentare

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Benji72

vor 6 Jahren

Teilweise tut es weh beim Zuschauen. Auf mich wirkte es teilweise komplett verstörend, wie bösartig Menschen sein können. Dass man so gefühlskalt zu fremden Menschen sein kann, weil sie eine andere Hautfarbe haben! Einfach schockierend. Dass dieses Gefühl auf mich als Zuschauer übergesprungen ist spricht defintiv für das hohe Niveau des Films! Packend!Mehr anzeigen


elelcoolr

vor 6 Jahren

Sicher kein angenehmer Film. Als einziger Kritikpunkt ist mir die Täter-Opfer-Einteilung sprichwörtlich zu schwarz/weiss geraten. Die tolle schauspielerische Leistung von Will Poulter ist hervorzuheben.


navj

vor 6 Jahren

Brisante Politthemen sind Kathryn Bigelows Spezialgebiete. Wie "Zero Dark Thirty" und "The Hurt Locker" ist auch "Detroit" ein politischer Thriller der die Zuschauer quasi an den Ort des Geschehens mitnimmt. "Detroit" widmet sich einem schweren Fall rassistischer Polizeigewalt aus den Rassenunruhen von Detroit 1967. Die vorgefallenen Ereignisse werden derb dargestellt und gehen unter die Haut. Mit dem genialen Schauspielensemble schafft Kathryn Bigelow ein perfektes Spannungskino, der einen in Rage versetzt.Mehr anzeigen


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