CH.FILM

Köhlernächte Schweiz 2017 – 92min.

Filmkritik

Rauchzeichen über dem Entlebuch

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Im Entlebuch wird als letzter Ort in Westeuropa noch heute Holzkohle gebrannt. Nebst den spannenden Einblicken in ein altes Handwerk, die er vermittelt, fesselt Robert Müllers Film mit sensationellen Landschaftsaufnahmen von Pio Corradi und einem sphärischen Soundtrack von Fritz Hauser.

Nachdem die Bäume gefällt, die Köhlerhaufen aufgebaut sind, folgt die intensivste Phase der Holzköhlerei, das Brennen. Sie dauert, je nach Grösse des Meilers, zehn bis vierzehn Tage. An Schlaf ist in dieser Zeit kaum zu denken: Der glimmende Haufen muss alle zwei bis drei Stunden kontrolliert, gekühlt, gelüftet, bisweilen gestopft und geflickt werden. Manchmal, etwa wenn ein Gewitter aufzieht, kommt Hektik auf. Dann zieht der junge Lukas eilig eine Abdeck-Blache über den Haufen, und der alte Fränz gerät ins Fluchen. Meist aber nimmt es Fränz gelassen. Schüttet sich einen Selbstgebrannten ein und erzählt. Von wild abgefackelten Haufen und vom heiligen Schreck, der ihm ein Rehbock einjagte, der sich einst in tiefer Dunkelheit bis zum Meiler vorwagte und bei Rööslis Erscheinen in lautes Röhren ausbrach.

Köhlerlatein ist das und es passt gut in diesen Film von Robert Müller. Dieser spielt im Entlebuch, im waldigen Gebiet um die Siedlung Bramboden in der Gemeinde Romoos, wo Alice Schmid 2011 Die Kinder vom Napf, 2016 Das Mädchen vom Änziloch drehte. Es ist der einzige Ort in Westeuropa, an dem heute noch gewerbsmässig Holzkohle produziert wird, 80-90 Tonnen pro Jahr. Müllers Film folgt dem Lauf der Jahreszeiten und somit dem Produktionsprozess. Im Fokus stehen der 70-jährige Fränz Röösli, Lukas, der zwölfjährig seinen ersten Haufen brennt, Doris Wicki, die einzige Köhlerin. Manchmal tauchen Touristen auf, der Europäische Köhlerverein hält im Entlebuch sein Jahrestreffen ab, bei der GV im Herbst wird Lukas in den lokalen Verband aufgenommen.

Man bewegt sich zwischen Tradition und Moderne, doch es haftet der Holzköhlerei noch heute etwas Archaisches an. Archaisch mutet phasenweise auch Müllers Film an, der mit seinen oft aus der Luft geschossenen, sensationellen Landschaftsaufnahmen von Pio Corradi und Fritz Hausers sphärisch verdichtetem Soundtrack weit mehr ist, als eine simple Dokumentation. Nämlich ein tief in trutzige Waldlandschaften aber auch die Seelen seiner Protagonisten vordringende Erzählung, die packend vermittelt, weshalb die „Entlebucher Holzköhlerei“ seit 2011 auf der Liste der immateriellen Kulturgüter des UNESCO-Inventars zur Erhaltung des Weltkulturerbes steht.

26.03.2024

4

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Kommentare

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selinaburri

vor 6 Jahren

Schön! berührend!


Yvo Wueest

vor 6 Jahren

Wer diesen sehenswerten Film sieht, bekommt Lust, mehr über die Hintergründe der traditionsreichen Köhlerei in der reizvollen Landschaft des Entlebuchs zu erfahren. Mit den ruhigen und beschaulichen Bildern, eignet sich der Film für alle Altersgruppen.
Ironie hoch drei, die Premiere am Sonntag, als sich dort der Ex-Nationalrat Ruedi Lustenberger vor der Leinwand unter die Sponsoren-Logos stellte: Im Film, der von der SRG mitproduziert und -finanziert wurde, hat der Wendehals, der seit Monaten aktiv für die No-Billag-Initiative weibelt, zwei -zum Glück nur- kurze Auftritte. Gut, dass der Regisseur in seinem Schlusswort an die für hiesige Filmschaffende relevante Förderung aus der Empfangsgebührenkasse hinwies und zu einer aktiven Stimmbeteiligung aufrief.Mehr anzeigen


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