The Song of Scorpions Frankreich, Schweiz 2016 – 119min.
Filmkritik
The Song of Scorpions
Die drei Kamele könnte sie gut gebrauchen, aber was wolle sie mit einem Mann? Nooran (Golshifteh Farahani) widersetzt sich konsequent den Annäherungsversuchen des Kamelhändlers Aadam (Irrfan Khan), der sich unsterblich in die schöne Heilerin verliebt hat, beziehungsweise in deren Stimme, die die Kraft hat, von Skorpionen Gebissene zu heilen.
Nooran befindet sich noch in der Ausbildung bei ihrer Grossmutter Zubaida in einer kleinen Siedlung in der Wüste Thar im nordwestindischen Rajasthan, fernab der Moderne, die sich hier nur vereinzelt in Form von Jeeps und Motorrädern erblicken lässt. Was sie mitbringen, sind nicht die Vorzüge der Zivilisation, sondern deren Abgründe.
Als in derselben Nacht Nooran von einem Fremden vergewaltigt wird und ihre Grossmutter aus unklaren Gründen in der Wüste verschwindet, scheint es mit der Lebenslust und dem rebellischem Temperament zu Ende zu sein. Zweifach traumatisiert, verliert Nooran ihre heilkräftige Gesangsstimme und mit dieser ihren Status in der Gemeinschaft. Als „vergiftet“ gebrandmarkt, wird sie aus der kleinen Siedlung verbannt und sieht sich nunmehr alleine einer modernen Welt gegenüber, in der sie kaum zurechtkommen wird. Die Frage, was sie mit einem Mann wolle, bekommt auf einmal eine konkrete Antwort. Aadam ist unter der Bedingung der Heirat bereit, die Verstossene bei sich und seiner Tochter aufzunehmen. Doch dann zeigt sich, dass er nicht ganz der gute Mann ist, den er zu sein vorgibt, und dass die Verbannung nur das Vorspiel zum wirklichen Drama war, das ab jetzt seinen Lauf nimmt.
The Song of Scorpions ist ein Film der Kontraste. Die Wechsel zwischen Tag und Nacht, sowie zwischen Innen und Aussen – in der Wüste absoluter als irgendwo sonst – bestimmen die Bildwelt wie den Rhythmus des Films. Pietro Zuerchers Kamera fängt diese mit seiner ruhigen Kamera in wunderschön komponierten Bildern ein, oft einzig mit der Verwendung von natürlichem Licht. Auf einer thematischen Ebene ist es vor allem das Nebeneinander von Tradition und Moderne, die in dem mythologischen anmutenden Plot zueinander in Bezug und in Konflikt gesetzt werden, auch mit einem Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Zeitlosigkeit der Antworten.
Leider gibt es aber noch einen weiteren Kontrast, nämlich jenen zwischen jenem Film, den die Vereinigung all dieser Elemente – Bilder, Schauspieler und Produktionsgelder aus der Schweiz und Singapur – erwarten liesse, und der tatsächlich erlebten Kinoerfahrung. Insbesondere dem Schnitt und der oft etwas gar zu diffusen Erzählweise ist anzulasten, dass man zu Beginn dem Plot kaum folgen kann, weil wichtige Informationen teils einfach fehlen, manches nur beiläufig angedeutet wird, oder das Erzähltempo einen dazu verführt, sich wie die Grossmutter Noorans ein wenig in der Wüste zu verirren.
So bleibt am Ende ein wunderschön anzuschauender Film mit einigen betörenden musikalischen Einlagen und charismatischen Schauspielern, dem es erst am Schluss gelingt, die Dramatik seines Plots in einen mitreissenden Film zu übersetzen. Wenn im letzten Akt Mythologie und Melodrama, Verrat, Rache und Versöhnung sich in einer von aufrichtigem Pathos geladenen Schlussszene verdichten, vergibt man dem Film dann auch die Momente der Langeweile, die man in der ersten Hälfte hatte erdauern müssen. Die Kraft von Noorans wiedergefundener Stimme vermag selbst dieses Gift zu neutralisieren.
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