Under the Tree Island 2017 – 90min.

Filmkritik

Eskalierender Nachbarschaftsstreit

Björn Schneider
Filmkritik: Björn Schneider

Der Isländer Hafsteinn Sigurðsson kennt in seinem neuesten Film kein Erbarmen mit seinen bedauernswerten, glücklosen Charakteren. Under the Tree ist eine zynische Tragikomödie mit unerwartetem Handlungsverlauf, in der am Ende alle verlieren.

Im Garten von Atlis (Steinþór Hróar) Eltern steht er: Der riesige Baum, der für ordentlich Zoff zwischen seinen Eltern und den Nachbarn sorgt. Die Nachbarn finden, dass ihnen der Baum zu viel Schatten spendet. In diesen Zwist wird Atli deshalb gezogen, da er seit kurzem wieder daheim wohnt. Seine Ex hat ihn des Fremdgehens beschuldigt und ihn aus der Wohnung geworfen. Doch um die Schlichtung des Streits, der zunehmend eskaliert, kann sich Atli nicht kümmern. Schliesslich hat er selbst Probleme: Er kämpft darum, seine Tochter zu sehen und jegliche Versuche, mit Atli zu sprechen, werden von dieser eiskalt abgeschmettert.

Die isländische Filmindustrie ist klein. Nur fünf bis sechs Produktionen pro Jahr entstehen im zweitgrössten Inselstaat Europas – Under the Tree gehört zu den wenigen Filmen, die 2017 gedreht wurden. Dabei handelt es sich um den dritten Spielfilm von Hafsteinn Sigurðsson. Es ist sein erstes Werk seit der Tragikomödie París Norðursins (2014). Under the Tree feierte im vergangenen Jahr bei den 74. Filmfestspielen von Venedig Premiere.

Hinter Sigurðssons vordergründig harmlosem (Familien-) Drama verbirgt sich ein emotional gewichtiger, teils enorm sarkastischer Film, der keine Rücksicht auf die Befindlichkeiten seiner „Ich“-bezogenen Protagonisten nimmt. So legt er zum Beispiel schonungslos die unterdrückten Aggressionen, den Missmut und die Trauer seiner Figuren offen und bedient sich dafür oft eines derben, bitterbösen Humors. Ein Grund, weshalb in Under the Tree tragische und komische Momente meist ganz eng beieinander liegen.

So hat es zum Beispiel etwas zutiefst Bemitleidenswertes aber eben auch unfreiwillig Komisches, wenn Atli seiner Ex unbeirrt und hartnäckig überall hin folgt, um endlich ein klärendes Gespräch zu führen – sogar bis in ihr Grossraumbüro. Dabei steckt hinter seinem verzweifelten Verhalten lediglich das tiefe Verlangen, seine Tochter zu sehen. Auch Atlis Mutter ist eine tragische Figur. Ihr von Abneigung geprägtes Verhalten der verhassten Nachbarin gegenüber, ringt dem Zuschauer des Öfteren ein Lächeln ab. Bis man in der Mitte des Filmes erfährt, welch traumatisches Ereignis Atlis Mutter so verbittert und schwermütig werden liess.

Kurz vor Schluss überschlagen sich die Ereignisse und Sigurðsson lässt die Wut der Nachbarn in einem blutigen, unerwarteten Gewaltausbruch kulminieren. Nur, um uns in der allerletzten Einstellung die Widersinnigkeit des nachbarschaftlichen Streit vor Augen zu führen.

14.06.2018

4

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Kommentare

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Yvo Wueest

vor 6 Jahren

Nicht erst seit mein Sohn (21) in Iceland wohnt und arbeitet, reizt es mich, mehr über die Schlechtwetter-Region Europas zu erfahren. Und die seltsamen Menschen, die es dort oben bei Wind und Wetter aushalten. Mit seinen ausgewaschenen Bildern lieferte mir dieser Film eine Studie kleinbürgerlichen Verhaltens und gleichzeitig eine unterhaltsame nordländische Interpretation von F. Glasls Model der Konfliktstufen. Die bekanntlich -ohne Korrektur- in Iceland und überall auf der Welt, in den gemeinsamen Abgrund führen.Mehr anzeigen


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