Wilde Maus Österreich, Deutschland 2017 – 102min.

Filmkritik

Wahnwitz, Wut und Wiener Prater

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Der bekannte österreichische Kabarettist Josef Hader hat nicht nur das Buch zur «Wilden Maus» geschrieben und die Hauptrolle gespielt, sondern erstmals auch Regie geführt. Es geht um den Musikkritiker Georg, der geschasst wird, auf Rache sinnt und in eine kolossale Krise schlittert. Hader schildert die Irrungen und Wirrungen eines Mannes, der sein Heil in einer Achterbahn namens «Wilde Maus» sucht und sich im Schnee wiederfindet. Eine rabenschwarzen Komödie um eine Sinn- und Existenzkrise – schräg, skurril und bitterböse.

Da sitzt er nun – baff und bitterböse: Georg (Josef Hader), Musikkritiker bei einem Wiener Blatt, der von sich glaubte, er sei unantastbar, wird mit der Tatsache konfrontiert, dass man ihn nicht mehr braucht. Seine Leser sterben aus, meint sein deutscher Chefredaktor Waller (Jörg Hartmann), Print und Kritiker seien nicht mehr gefragt, und ergänzt zynisch, er solle doch ein Buch schreiben. Georg steht auf der Strasse. In seiner ohnmächtigen Wut sinnt der vermeintliche Feingeist auf profane Rache, zerkratzt das Auto des Chefs, pinkelt an dessen Haustür und randaliert. Er muss dann aber feststellen, dass jeder ersetzbar ist, auch ein angesehener Kritiker wie er. Die junge Journalistin (Nora von Waldstätten), die wohl wenig Ahnung von Musik und Oper hat, macht ihren Job ganz gut. Selbst Georgs Frau Johanna (Pia Hierzegger, auch im realen Leben Haders Partnerin), eine Therapeutin, kann ihm wenig helfen, weil er ihr seine Situation verheimlicht.

Rache befriedigt nicht, macht nur böse und klein. Georg stromert also durch Wien und stösst auf den arbeitslosen Erich (Georg Friedrich). Und der animiert den kriselnden Wohlstands-Kritiker, ins Fahrgeschäft einzusteigen. Mit seiner finanziellen Hilfe pachten sie die «Wilde Maus», eine in die Jahre gekommene Achterbahn (die tatsächlich in Wien existiert). Georg, ganz Klassikfan, stattet das Fahrgeschäft quasi mit klassischen Klängen aus (das entspräche tatsächlich der Wirklichkeit, versicherte Regisseur Hader) und wirbt mit Mozartperücke für das Vergnügungsunternehmen. Doch letztlich überfordert die Fliehkraft der «Wilden Maus» den verzweifelnden Aussenseiter, irgendwie kriegt Georg nicht mehr die Kurve, verkriecht sich aufs Land, in die Berge, flüchtet sich in Alkohol und sucht sein Unheil im Schnee. Da sitzt er nun, ruiniert, entblösst, erstarrt im tiefen Schnee und wartet auf die Erlösung, den Tod, aber selbst der kümmert sich nicht um den gutbürgerlichen Kerl.

Ein echter Hader: Georg, gebildeter und eingebildeter Mensch, saturiert, selbstgefällig und arrogant, verliert den Boden unter den Füssen. Und die Gesellschaft, sein Umfeld, merkt es nicht einmal. In seinem bitterbösen, komisch wie tragischen Existenzdrama Wilde Maus kennt Hader kein Pardon und demontiert Gutbürger wie Gesellschaft. Haders abgründige Groteske gipfelt in einem aberwitzige Schnee-Showdown, wie es die Kinowelt noch nicht gesehen hat. Die schwarze Komödie endet in Schneeweiss. Wahnsinn! Und mittendrin der Hader – griesgrämig, grantelnd, grotesk und am Limit, wie man ihn aus den Brenner-Krimis fürs Kino kennt. Sein Film – mit einem adäquaten Georg Friedrich als Loser Erich, der just in Berlin einen Silbernen Bären für die Rolle in Körper und Seele gewann – erinnert an die Lakonie, Skurrilität und hintergründige Komik des Finnen Aki Kaurismäki, sozusagen mit österreichischem Schmäh.

20.02.2024

5

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Kommentare

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sum21

vor 7 Jahren

Eine witzige und schwarze Komödie die man ansonsten eigentlich nicht von Oesterreich gewohnt ist. Die Ehefrau von Georg ist trotz allem ein wenig spiessig und nicht gerade locker.
Als ein halbwüchsiger mit ihr schlafen will, lehnt sie das kategorisch ab, und sie meint wirklich ihr Mann sei nur dazu da, ihr ein Kind zu machen. Da fragt man sich, wieso hat sie ihn dann überhaupt geheiratet.Mehr anzeigen


gerd_juettner

vor 7 Jahren

Enge Kurven ohne Überhöhung, das Gefühl dabei aus der Kurve getragen zu werden, das ist die Wilde Maus auf Jahrmärkten und im Prater. Im gleichnamigen Film (Drehbuch, Regie, Hauptdarsteller: Josef Hader) gerät Georg auf diese Lebens-Achterbahn. Dem schonungslosen Musikkritiker wird überraschend gekündigt, weil er in den Augen seines Chefredakteurs zu viel verdient. Georgs viel jüngere Frau, eine Therapeutin (Pia Hierzegger), möchte ein Kind von ihm. Die Kündigung wird verheimlicht, er treibt sich im Prater rum, stößt auf einen alten Schulkameraden (Georg Friedrich), der die Wilde Maus übernehmen will.
Der zornige Georg unternimmt Rachefeldzüge gegen seinen Ex-Chef (Jörg Hartmann) und seine bürgerliche Welt gerät in Schieflage, die auf einen Höhepunkt zusteuert. Wird es ihn am Ende noch aus der Kurve tragen?

Josef Hader hat einen Film realisiert, der seinen Zorn, seine Wut und seine sich immer stärkere depressive Einstellung in beindruckende Bilder umsetzt, die er mit langen Einstellungen mosaikhaftig zusammensetzt. Viele der vorliegenden Kritiken werden dem Film nicht gerecht, wenn er etwa beim RBB verurteilt wird, es sei "nicht gerade eine Empfehlung für weitere Filmprojekte mit Hader als alleinigem Regisseur und Drehbuchautor." Weit gefehlt, ich hoffe auf Filme von und mit ihm, denn- wie auf der Bühne- spielt er nicht seine Rolle, er lebt und durchlebt sie und zwar mit einer grandiosen den Zuschauer fesselnden Einsatz. Bei aller Ruppigkeit und Boshaftigkeit ich finde diese groteske Geschichte sehenswert, sie beeindruckt mich wie sein Erstlingswerk "Indien" mit Alfred Dorfer. Nicht jeder muss Hader und seinen verbitterten und bitterbösen Film mögen, ansehen sollte man ihn auf jeden Fall. Zumal die Schlußsequenz eine tiefe filmische und gelungene Verbeugung vor Truffauts "Schießen Sie auf den Pianisten" ist. Allein diese Bilder werden jedem Zuschauer in bleiben- und was will ein Film mehr? Chapeau Joesef Hader!Mehr anzeigen


Yvo Wueest

vor 7 Jahren

"Ich bin seit 25 Jahren Musikkritiker - ich kann nichts anderes", sagt Georg -der nach seiner Entlassung gerade sein Leben neu einrichten muss- ganz zu Beginn seinem Chef.

Was sich anschliessend vor unseren Augen abspielt, ist eine sehr heitere und lustige Posse, mit einer guten Portion schwarzen Humor, tapfer hingerotzten Beleidigungen und viel Wiener Schmäh.

Meine Lieblingsszenen? Schwer zu sagen, denn es hat deren viele. Zwei Favoriten wähle ich hier aus: Als die deutlich jüngere und vehement zeugungsinteressierte Freundin im vorwirft, den Samenerguss zurückzuhalten, und er antwortet: "Bist du ang'rennt irgendwo?"

Und schliesslich: Die Flucht des suizidal engagierten Helden vor seinen Rettern im Tiefschnee ...

Fazit: Unbedingt hingehen, Hader geniessen, viel über's Leben lernen!Mehr anzeigen


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