CH.FILM

Closing Time Deutschland, Schweiz 2018 – 116min.

Filmkritik

Das Grundrauschen Taipeis

Noëlle Tschudi
Filmkritik: Noëlle Tschudi

Mr. Kuo und seine Frau kochen Nacht für Nacht für die Schlaflosen von Taipei. Tagsüber schlafen sie, wie viele weitere Bewohner der pulsierenden Hauptstadt. Eines Tages aber bricht Mr. Kuo aus seinem etablierten Muster aus...

Das unaufhörliche Rauschen der Meeres, ein kleiner Strassenhund, der im Schutze der Nacht in das Licht einer Strassenlampe tritt, mehrere Dutzend Eier, die zerschlagen werden, eine TV-Serie, die über einen Bildschirm flimmert und zeitgleich auch in der Reflexion eines rot beleuchteten Aquariums verfolgt werden kann. In Closing Time reiht sich ein Eindruck an den nächsten – unaufhörlich, ineinander verschmelzend durch das omnipräsente Grundrauschen Taipeis. Der Film der Schweizer Regisseurin Nicole Vögele präsentiert sich einerseits als Essay über das menschliche Dasein in einer Stadt wie Taipei, andererseits als Versuch, die Zeit greifbar zu machen.

Die Geschichte in Closing Time ist schnell erzählt: Mr. Kuo und Mrs. Lin führen einen Imbiss, in dem sich nachts die unterschiedlichsten Persönlichkeiten einfinden. Ob ein liebendes Paar, zwei sich misstrauisch beäugende tätowierte Männer oder aber immer wiederkehrende Stammgäste: Sie alle sind im kleinen Lokal willkommen und Teil einer Dynamik. Der Film weist keinerlei Kommentar und nur wenige Dialoge auf – und selbst diese sind nur dann greifbar, wenn einem die Originalsprache von Closing Time geläufig ist.

Das gesprochene Wort nimmt in Nicole Vögeles neuestem Film aber ohnehin nur eine untergeordnete Rolle ein, was für die Zuschauer zahlreiche Interpretationen zulässt. Der essayistische Nachtfilm kommt einer collageartigen filmischen Reise gleich, die auf Eindrücke, ganze Klangwelten und die Vorstellungskraft der Zuschauer setzt. Wer bereit ist, sich auf Nicole Vögeles Vision einzulassen, dem wird ein aussergewöhnlicher Blick auf das nächtliche Leben in Taipei geboten. Mittendrin statt nur dabei zu sein gehört zum Filmerlebnis von Closing Time genauso dazu, wie das Fehlen eines Handlungsfadens.

Wer allzu lange nach diesem sucht, sei dazu ermutigt, inne zu halten, die Augen für Details zu öffnen, den grossen Interpretationsspielraum, der einem geboten wird, zu nutzen und für die 116-minütige Spieldauer des Films von einem einfachen Betrachter zum eigenen Erzähler zu werden, der Hintergründe einzelner Figuren erahnt, mögliche Geschichten, die sich vor den gezeigten Kulissen abspielen könnten, konstruiert, oder schlicht interpretiert, inwiefern diverse Szenen vor einem gesellschaftskritischen Hintergrund gelesen werden können.

Während Closing Time mit seiner durch fliessende Grenzen auszeichnende Machart punkten kann, die vor allem Klänge und Geräusche beinahe nahtlos ineinander übergehen, ja regelrecht miteinander verschmelzen lässt, dürfte die Aneinanderreihung von Klängen und Eindrücken dem einen oder anderen Zuschauer ohne jeglichen Kommentar, Dialog und Wertung missfallen. Closing Time steht und fällt mit dem Engagement des Zuschauers, bietet mit Ausschnitten aus dem nächtlichen Leben aber Eingang in eine faszinierende Bildwelt.

15.02.2024

3.5

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