Disobedience Irland, Grossbritannien, USA 2017 – 114min.

Filmkritik

Moralisches Dilemma

Björn Schneider
Filmkritik: Björn Schneider

Das überragend gespielte, formal konventionelle Liebes-Drama Disobedience handelt von der Beziehung zwischen zwei jüdischen Frauen. Eine Liebe, die im Widerspruch zu ihrer Religiosität und ihren Überzeugungen steht.

Vor Jahren verliess Ronit (Rachel Weisz) London in Richtung New York. Völlig unerwartet erreicht sie eines Tages die Nachricht, dass ihr Vater, ein Rabbi der jüdisch-orthodoxen Gemeinde, verstorben ist. Also macht sie sich auf den Weg in die Heimat. Fürs Erste kommt Ronit bei ihrem Cousin Dovid (Alessandro Nivola) unter, der mit der Lehrerin Esti (Rachel McAdams) verheiratet ist. Ronit und Esti hatten einst eine Affäre. Schnell merken die beiden, dass die Leidenschaft füreinander noch immer besteht.

Disobedience beruht auf dem gleichnamigen Roman der Britin Naomi Alderman. Regie führte der Argentinier Sebastián Lelio, der seinen sechsten Spielfilm an Originalschauplätzen in London drehte. Lelio wurde 2013 mit der Tragikomödie Gloria international bekannt. Weltpremiere feierte der Film bei den letztjährigen Filmfestspielen in Toronto.

Disobedience stellt die komplexe Frage nach den Grenzen von Vernunft, Glaube und Sexualität. Gerade wenn die sexuellen Bedürfnisse in teils heftigem Widerspruch zu den eigenen Grundsätzen stehen. Dies ist vor allem bei Esti so, die sich für ein geordnetes Leben im Einklang mit ihrer Religion entschieden hat. Dass sie sich insgeheim nach etwas anderem sehnt, wird deutlich, als sie erstmals wieder ihrer Jugendliebe gegenübersteht. Blicke sagen mehr als tausend Worte – eine abgegriffene Floskel, die Szene der ersten Begegnung aber umschreibt sie perfekt.

Überhaupt ist Disobedience ein Film der schüchternen Blicke, versteckten Gesten und zarten Andeutungen. Lange kämpfen die Frauen gegen ihre Sehnsüchte an und lediglich in wenigen unbeobachteten Momenten werden sie schwach. Dies sorgt für eine beständige, subtile Spannung. Bis Ronit und Esti allen angestauten Gefühlen in einer intensiven Sexszene freien Lauf lassen. Leidenschaftlich und echt wirkt jedoch nicht nur dieser Moment, denn den beiden famosen Hauptdarstellerinnen nimmt man jederzeit die Gefühle füreinander ab. Ebenso wie ihr Leid nie aufgesetzt wirkt.

Schade ist, dass der von dunkeln Farbtönen bestimmte Film dramaturgisch und erzählerisch weitestgehend auf Nummer sicher geht. Er unterscheidet sich diesbezüglich kaum von thematisch ähnlichen Filmen, die ebenfalls von einer verbotenen Liebe erzählen. Ausserdem wird es am Ende gewollt dramatisch und zu theatralisch, wenn alle Lebenslügen aufgedeckt und Geheimnisse offenbart werden. Und die Figuren verhalten sich auch nicht immer glaubwürdig. Vor allem Dovid legt in kurzer Zeit eine 180-Grad-Kehrtwende hin, die schwer nachvollziehbar ist.

26.03.2024

3.5

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Kommentare

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Barbarum

vor 6 Jahren

Der chilenische Filmemacher Sebastián Lelio hat dieses Jahr mit "Una Mujer Fantástica" den Oscar gewonnen. In seinem englischsprachigen Erstling "Disobedience" glänzen vor allem die Darsteller. Nach dem Tod ihres Vaters, eines Rabbis einer jüdisch-orthodoxen Gemeinde in London, kehrt die Fotografin Ronit (Weisz) zur Trauerfeier aus New York zurück und begegnet dabei neben Verwandten auch wieder zwei Jugendfreunden, Esti (McAdams) und Dovid (Nivola), die mittlerweile miteinander verheiratet sind. Nicht lange aber und alte Gefühle machen sich wieder bemerkbar. "Disobedience" zeigt den Zwiespalt, wenn der Liebe der Glauben und das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gemeinschaft im Weg stehen. Das Drama regt zum Nachdenken an und Lelios Stil wirkt bedacht und passend zurückhaltend, doch leider trifft das Zurückhaltende auch auf die Erzählung zu und köchelt mehrheitlich auf gleich bleibender Stufe, ganz leise vor sich hin. Dagegen mag zwar nichts einzuwenden sein, doch ist es auch nicht wirklich einnehmend.Mehr anzeigen

Zuletzt geändert vor 6 Jahren


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