Les Invisibles Frankreich 2018 – 101min.
Filmkritik
Ziviler Ungehorsam
Les invisibles, die „Unsichtbaren“, ist der passend gewählte Titel für eine Tragikomödie, die sich um Ausgestossene dreht: um wohnungs- und arbeitslose Menschen am Rande der Gesellschaft, viele von ihnen obdachlos und mit krimineller Vergangenheit.
Nach einer kommunalen Entscheidung soll ein Frauenhaus geschlossen werden, in dem obdachlose Damen unterkommen. Sie können dort duschen, essen und erhalten Medikamente - noch. Den Schock müssen ebenso die Sozialarbeiterinnen (u.a. Audrey Lamy, Noémie Lvovsky) verkraften, die sich bislang für die bedürftigen Frauen einsetzten. Die einzige Chance für den Erhalt: die Schützlinge so schnell wie möglich in die Arbeitswelt und Gesellschaft zu integrieren. Die Sozialarbeiterinnen setzen alles daran, das Ziel in der vorgegebenen Frist zu erreichen – notfalls unter Missachtung geltender Gesetze.
Nach Carole Mathieu von 2016 legt der 35-jährige französische Filmemacher Louis-Julien Petit mit Les invisibles erneut einen Film vor, der sich sozialen Missständen und gesellschaftlichen Vorurteilen widmet. Er spielte weltweit bislang knapp elf Millionen Dollar ein und erwies sich in Frankreich mit anderthalb Millionen Besuchern als Überraschungserfolg.
Petit begegnet den mittellosen Frauen jederzeit mit Achtung und Zuspruch – etwas, das ihnen im wahren Leben oft fehlt. Für ein hohes Mass an Glaubwürdigkeit ist gesorgt, da Petit die Frauen grösstenteils von Laiendarstellerinnen spielen lässt. Frauen, die den sozialen Abstieg, Arbeitslosigkeit und Armut aus eigener Erfahrung kennen. Hier spielen sie Charaktere, die einem aufgrund ihrer kauzigen Eigenarten schnell ans Herz wachsen.
Les invisibles denkt zudem gar nicht daran, sich – trotz der ernsten Thematik – in Melodramatik und Tristesse zu ergehen. Im Gegenteil: Mit viel Humor und teils entwaffnend positiver Grundhaltung begleitet Petit den Versuch der Sozialarbeiterinnen, die „Unsichtbaren“ zu reintegrieren. Gleichsam emotional und heiter sind vor allem jene Szenen, in denen die Damen auf die harte Berufswelt vorbereitet werden. Mit unkonventionellen Bewerbungstrainings, Tricks und pfiffigen Übungen setzen die Sozialarbeiterinnen so auch ein Zeichen für zivilen Ungehorsam.
Deutliche Kritik wird an kommunalen Behörden und Stadtverwaltungen geübt, denen es um Optimierung und eine Verbesserung der Statistik (Stichwort: Wiedereingliederungsquote) geht. Hier und da allerdings entsteht der Eindruck, dass Petit sein Werk zu gewollt in Richtung „Feel-Good-“- und Wohlfühl-Film lenkt – etwa beim zu theatralisch und vorhersehbar geratenen Ende. Nicht ganz glaubwürdig wirkt zudem der unermüdliche, leidenschaftliche Einsatz der Sozialarbeiterinnen, die mit ihren (illegalen) Methoden ihren Job und sogar Gefängnisstrafen riskieren.
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